Emanzipazion und Polsterschlacht

Die Eröffnung der Tanz-Saison der Grazer Oper geriet mit der Uraufführung von „Upper Room“ zu einem Publikumserfolg

Graz, 20/09/2011

Ballettchef Darrel Toulon hat sich für dieses Stück vom interimistischen Spielort, der Studiobühne im Wilden Mann, inspirieren lassen und sinnlich-ästhetische Traumbilder entworfen. 16 Schaufensterfiguren, bis zur blonden Perücke uniformiert, emanzipieren sich zunächst vom Puppendasein in einem zwei Quadratmeter großen Stahlrahmen. Doch auch in der Peripherie der breiten – für ein hautnahes Tanzerlebnis ideal proportionierten – Studiobühne warten solche Rahmen darauf, belebt, bewegt und überwunden zu werden. Intensive Zweierbegegnungen und Solosequenzen thematisieren das Verhältnis von Mensch und Raum, von Typ und Individuum.

Vesna Petkovics imposante Stimme meditiert über serbischen Volksweisen, während Boris Mihaljcic mithilfe einer Loopstation spektakuläre Klangszenen auftürmt. Musik und Tanz verkörpern in kalter Umgebung zunächst das Streben nach Dichte, Reibung und Wärme. Im zweiten Teil verteilt Petkovic Polster an die Tanzenden und singt diese in einen Schlaf, dessen zunehmende Unruhe sich zum Toben, zur schreienden Selbstentblößung und – dies könnte boshaft als Kernidee des Abends ausgelegt werden – zur elegant choreographierten Polsterschlacht auswachsen.

Toulon lässt den 16 Mitgliedern seines starken Ensembles gestalterische Freiräume. Dort, im tänzerischen Detail, wo Einzelne ihren individuellen Ausdruck finden, im zumeist gleichzeitigen, manchmal aber auch ins exklusive Rampenlicht gerückten Solieren, wird die künstlerische Substanz greifbar. Im Überblick bleiben beide Stücke eine stilistisch exzellent gearbeitete Bilderflut, deren Ausdeutung dem Publikum überantwortet wird und die in der Erinnerung ähnlich vage nachwirkt wie ein rätselhafter, wenngleich kraftvoller Traum.

Matthias Wagner

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