„Schwanengesang“ von Andreas Heise. Tanz: Ensemble.

„Schwanengesang“ von Andreas Heise. Tanz: Ensemble.

Schmerz und Traum

Der Klang des Herzens und der Seele führt in die grenzüberschreitenden Dimensionen des Tanzes

Ein so berührender wie bewegender „Schwanengesang“ nach dem Liederzyklus von Franz Schubert in einer Choreografie von Andreas Heise mit dem Ballett der Oper in Graz.

Graz, 02/06/2022

Da ist dieser Raum auf der Vorderbühne des Grazer Opernhauses, mit dem Flügel und den Kirchenbänken, auf denen die Menschen sitzen können zur Besinnung, um Abschied zu nehmen, um auszuruhen, um sich nahe zu sein, um sich der Einsamkeit hinzugeben im Schutz des Theaters, wenn dieses regelrecht zum spirituellen Raum wird.

Da sind die wunderbaren und so charaktervollen Tänzerinnen und Tänzer und Beate Vollack. Sie leitet die Grazer Kompanie und hat einen Brief geschrieben an Franz Schubert. Einen Brief an die Vergangenheit aus Graz, wo Schubert im letzten Jahr vor seinem Tod lebte, bevor er im Alter von nur 31 Jahren starb. Und mit diesem Brief beginnt dieser Grazer „Schwanengesang“, bevor man in den Zuschauerraum geht. Eine Tänzerin, im Kostüm einer Schubert-Zeitgenossin, liest ihn mit zartem Ton der Zuneigung bei dennoch traurigem Unterton und eröffnet so, ganz im Sinne einer choreografischen Inszenierung dieser posthum veröffentlichten 14 Lieder von Franz Schubert, den folgenden „Schwanengesang“.

Auf der Bühne dann auch jener kleine Schreibtisch, an dem nun immer wieder der Bariton Wilfried Zelinka versuchen wird, etwas zu Papier zu bringen, um am Ende eben doch jenes so berührende Vermächtnis mit der „Taubenpost“ abzusenden. Hier wird eine Sehnsucht besungen, die in ihren vielen Varianten den Tanz, den Gesang, das Spiel des Pianisten Emiliano Greizerstein beflügelt. Die Sehnsucht des Gesanges kann in die Höhe des tänzerischen Aufstieges führen, aber auch in die Tiefe einzelner Verlassenheit und Einsamkeit.

Und dabei sind uns die Tänzerinnen und Tänzer auf ihren Wegen der so unterschiedlichen Sehnsüchte doch so nahe - auch wenn sie durch ihre durch Farbtöne verbundenen Kostüme von Louise Flanagan der Alltäglichkeit enthoben scheinen. Ihren Gesichtern aber, ihren Blicken, ihren Gesten könnte man noch wenige Stunden zuvor in einem Café, auf der Straße, in der Bahn begegnet sein. Das ist eine der ganz starken Wirkungen dieser Aufführung, dass diese Tänzerinnen und Tänzer auf ihren Wegen des Abschieds und des Zueinanders, eben ihrer „Schwanengesänge“, uns sehr nahekommen.

Ein Sänger gibt ihnen seine Stimme, entweder von der klingenden, schützenden Sensibilität des Pianisten umhüllt, oder auf dessen Sicherheit eines Klangfundaments. Zunächst aber zu Auszügen aus Schuberts Impromptu in B-Dur, jene Bilder der Träume, der Visionen und des Schmerzes, bevor dann im ersten Lied von der „Liebesbotschaft“ selbst das dahineilende Tempo nicht über die Vergeblichkeit dieses Traumes von einer Geliebten, einem Geliebten, hinwegtäuschen kann. Die Tanzenden dazu in ganz unterschiedlichen Fügungen: Paare, Frauen und Frauen, Männer und Männer, Einsamkeit, Aufbruch, Rückkehr.

Immer wieder erstaunlich, wie es dem Choreografen Andreas Heise gelingt, jeglicher Art möglicher illustrierender Wirkung des Tanzes entgegen zu stehen. Die dramaturgische Verblüffung, vor dem Lied „Der Atlas“ den Gesang verstummen und zwei Schubert-Stücke erklingen zu lassen, eben jene Briefschreiberin und den Sänger in eine Begegnung der Vergeblichkeit zu führen. Die dann, wenn der Sänger am Boden liegt, wie eine mögliche Vorahnung empfunden werden kann, auf die Klage über jene Last, die dann auf dessen Schultern liegen wird.
 

Im Lied vom „Doppelgänger” spielt wieder jener Mantel eine Rolle, den der Sänger erst ablegte, jetzt umhüllt er sich, als wollte er Schutz suchen beim Anblick jenes Solos der Einsamkeit einer Tänzerin. Noch einmal vermag es der ausdrucksstarke Sänger Wilfried Zelinka mit Momenten so intensiver Darstellung des Gesanges, bis hin zu solchen der größten Zurücknahme, um somit etwas von den ungeahnten Möglichkeiten musikalischer Visionen zu vermitteln, sich ganz tief den bis heute unausgesprochenen Rätseln der Biografie Schuberts zu nähern. Dafür stehen auch die berührenden Motive einsamer Umarmungen eines nicht sichtbaren, aber eben erahnbaren Menschen, einer Frau, einem Mann, der Tanz lässt diese Bilder der Sehnsucht immer wieder für Momente aufleben.
 

Am Ende, der Sänger allein, den zu Beginn zerknitterten Brief streicht er mit innerer Hingabe wieder glatt. Jetzt kann er ihn absenden mit jener „Taubenpost“. Er wird seine Ankunft nicht verfehlen und jeder, jede, der oder die ihn erhalten werden, wird sich seiner Sehnsucht stellen müssen.
Spätestens dann ist es Andreas Heise gelungen mit der Kraft seiner so unaufdringlichen, aber dennoch sensiblen Musikalität, den Klang, die Lieder, diese Texte mit ihren persönlichen Geschichten, den Tanz wie selbstverständlich aus den inneren Stimmen und Empfindungen der Tänzerinnen und Tänzer in diese so eindringlichen Bilder der Sehnsucht zu führen. Und damit ist Heises Choreografie dieses Abschiedsgesanges - das mag wie ein Widerspruch erscheinen - zu einer Choreografie der Ankunft geworden, sie kommt an, bei den Menschen, die sich ihr zu öffnen vermögen.

Man wird hier nicht verführt, man wird geführt, hin zu sich selbst. Aber, und auch darin liegt die Kraft der Kunst an diesem Abend des „Schwanengesanges“ - das Licht der Hoffnung und die Kraft der Sehnsucht verlöschen eben nicht. Der Tanz eines Choreografen wie Andreas Heise vermag Tänzerinnen und Tänzer, den Sänger, den Pianisten, das Lichtdesign von Johannes Schadl so wunderbar zu sich zu und zueinander zu führen. Nahe am Puls der Zeit, aber keine Zugeständnisse an die so oft erhabenen Zeigefinger des Zeitgeistes.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern