„Orlando“ von Marguerite Donlon, Tanz: Savanna Haberland und Ensemble

Geschlecht und Identität

Premiere von Marguerite Donlons „Orlando“ an der Oper Graz

Die irische Choreografin Marguerite Donlon erzählt Orlands Geschichte mit viel Witz und manchen Überraschungen. Das Ballettensemble der Oper Graz agiert mit großer Energie und beeindruckt mit guter Technik.

Graz, 23/10/2023

Gleich zu Beginn wird klargestellt, um wen es an diesem Abend geht. Orlando kämpft sich alleine durch den Spalt im Bühnenvorhang. Bereits hier wird mit der Wahrnehmung gespielt, denn auf den ersten Blick erscheint Orlando viel größer, als er tatsächlich ist. Wenn sich der Vorhang hebt, sehen wir Körperteile, die hinter einzelnen Vorhängen hervorkommen. Nicht immer ist klar, ob es ein Mensch oder mehre sind, die hier zu sehen sind. Dazwischen der dichtende, in seinen Phantasiewelten verlorene Orlando. Unterschiedliche Vorhänge, manche blickdicht, einige durchsichtig, kommen immer wieder zum Einsatz, werden von den Tänzer*innen auf-, zu- oder komplett weggezogen. Dadurch wird der Bühnenraum geschickt gestaltet, der Blick auf Wesentliches gelenkt oder eine Szene halb verborgen. So wird immer wieder mit der Wahrnehmung gespielt. Ganz so, wie in Virginia Woolfs Romanvorlage „Orlando“, an die sich Donlon und der neue Ballettchef Dirk Elwert, der die Dramaturgie verantwortet, sehr genau halten.

Spielball der Männer

Am Ende des ersten Teils der mehrtägige Schlaf, aus dem Orlando nicht aufzuwecken ist. Als er dann aufwacht, ist er zur Frau geworden – radikal gezeigt, indem Orlando ihr Oberteil öffnet und man ihre Brüste sieht. Im zweiten Teil ändert Donlon Orlandos tänzerische Sprache: Sie wird zum Spielball zwischen Männern, in akrobatischen Hebungen manipuliert und kann sich erst gegen Ende emanzipieren. Bewundernswert wie Lucie Horná die Rolle verinnerlicht hat und sich im Stückverlauf scheinbar selbst verändert. Bis zuletzt hat sie eine unbändige Energie und Spiellust – definitiv eine herausragende Leistung, da sie die meiste Zeit auf der Bühne ist. Zu recht bekam sie am Ende viel Jubel dafür. Die choreografische Handschrift Donlons ist eine gute Mischung aus klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz. Sie überrascht manches Mal mit unkonventionellen Bewegungseinfällen oder auch Zitaten wie aus dem Höfischen Tanz oder Vogueing. Aus dem diversen 19-köpfigen Ensemble bleiben vor allem Savanna Haberland als Queen Elisabeth I. mit überlangen Fingern in Erinnerung, die Orlando nach allen Regeln der Kunst verführt, und Christoph Schaller, der mit seinem komödiantischen Talent perfekt für die Rolle der Henrietta geeignet ist. Doch auch die anderen Rollen sind gut besetzt, wobei nicht alle im Programmheft genannten Figuren auf der Bühne erkennbar sind.

Spiel mit der Geschlechteridentität

Silke Fischer spielt bei den Kostümen mit der Geschlechteridentität. Teils sind die Tänzer*innen in zeitlosen Ganzkörpertrikots, die sie androgyn erscheinen lassen. Gegen Ende dann die Frauen in Hosenanzügen. Nur manche Figuren sind in Kleidern, die an die viktorianische Zeit erinnern. Wichtiges Element sind Halskrausen, die in unterschiedlichen Formen – teilweise auch als Ärmel – immer wieder vorkommen. Einzelne Passagen aus Woolfs „Orlando“ werden auf Englisch gelesen – die Übertitel über der Bühne lenken teilweise den Blick von dem tänzerischen Geschehen ab. Doch die Zitate machen die Handlung verständlicher. 

Die Musikzusammenstellung wirkt auf den ersten Blick etwas konfus, vereint sie Kompositionen unter anderem von Henry Purcell, Benjamin Britten, Edward Elgar, Thomas Adès, Michael Nyman sowie Philip Glass, stellt sich dann aber als durchaus gelungen heraus. Dazwischen aber auch Klangcollagen von Paul Calderone, die vor allem die Erzählstimme von Lily Sykes unterstreichen. Die Grazer Philharmoniker unter Marius Burkert stellen sich den unterschiedlichen Musikstilen mit viel Verve.

Nach gut zwei Stunden verdient viel Jubel für ein sichtlich erleichtertes Ensemble und den gelungenen Einstand des neuen Ballettchefs. Schön, dass auch heute noch Geschichten auf der Bühne erzählt werden.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge