No soul, no fun

Eröffnung des Sommerfestivals in der Kampnagelfabrik mit Arbeiten von Jochen Roller und Emio Greco

Hamburg, 14/08/2009

Als der Berliner Tänzer und Performance-Künstler Jochen Roller 2002 sein Stück „no money, no love“ erfand, konnte er das nur in den Pausen zwischen seinen Gelegenheitsjobs tun, mit denen er sich finanziell über Wasser hielt. Genau das machte er zum Inhalt seiner Performance – er rechnete vor, wie oft er im Callcenter sitzen, bei H+M Verkäufer spielen, elektronische Six-Pack-Trainer verkaufen oder Briefe eintüten musste, um die Proben an dem Stück zu finanzieren. Das ist witzig und verstörend zugleich und ein großartiger Nährboden für eine Performance – deren Erfolg mit 147 Aufführungen in 12 Ländern zur Basis seiner Selbstständigkeit wurde. „No money, no love“ braucht jedoch die Intimität der kleinen Bühne, die direkte Konfrontation des Zuschauers mit dem Künstler, nur so kann es seinen Witz entfalten, seine Melancholie, seine Poesie. In den Jugendstil-Hallen der ehemaligen Börse und heutigen Handwerkskammer, mitten im Herz der Hamburger Kaufleute-Tradition also, verliert sich das Stück ebenso wie der Künstler und sorgte vorwiegend für gähnende Langeweile (und zahllose Nickerchen beim Publikum).

Das war absehbar – und tragisch für Roller, der zur Eröffnung des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel sein Stück letztmalig zeigte und dessen Requisiten anschließend vom Auktionshaus Christie’s versteigern ließ, um mit dem Erlös einem anderen Künstler eine Performance beim Sommer-Festival 2010 zu ermöglichen. Die Auktion, die Christie’s „Deputy Chairman“ Gräfin Christiane von Rantzau persönlich leitete, geriet fast mehr zur Performance als Rollers Stück selbst – und ließ dennoch den Funken nicht überspringen. Die Hamburger Kultur-Bürger hielten sich im mit über 600 Zuschauern voll besetzten Saal überwiegend vornehm zurück. Nur mühsam kletterten die Gebote für die einzelnen Lose (darunter Rollers grüne Trainingshose, sein Spickzettel, ein Requisitenkoffer, ein Flipchart-Flightcase, eine unveröffentlichte Szene auf DVD oder der letzte Beifall als Mitschnitt auf Mikro-Cassette) höher als 400 Euro. Selbst ein Tag in Berlin in Rollers Begleitung oder eine maßgeschneiderte Choreographie nach persönlichen Angaben konnte die Mäzene nicht aus der Reserve locken. Die mit 900 bzw. 800 Euro höchsten Erlöse erzielten kurioserweise der Requisitenkoffer und die Cassette mit dem Schlussbeifall... So kamen insgesamt nur 5650 Euro zusammen – beschämend wenig, wenn man sich vor Augen hält, welches Vermögen der Saal repräsentierte.

Wenig begeisternd auch die spätere Eröffnung auf Kampnagel selbst mit „Hell“, einem 2006 entstandenen Stück des mit seiner Kompanie in Amsterdam ansässigen Italieners Emio Greco. Nährt das auf der Kampnagel-Homepage eingestellte Video noch die schönsten Erwartungen, kann sie das Stück dann keineswegs einlösen. Was in den knapp sechseinhalb Video-Minuten fast magisch wirkt und ebenso viel Spannung wie Tanzlust versprüht, mutiert – auf gut anderthalb Stunden gestreckt – dann doch zu einem Übermaß an Effekthascherei und redundanten Bewegungsfolgen. Eher komisch als bedrohlich wirken zwei dunkel vermummte Gestalten, die sich unter die (erkennbar klassisch ausgebildeten) sechs Tänzer mischen, welche auf der mit einem kahlen Baumgerippe und einem Torbogen aus Glühbirnen karg gehaltenen dunklen Bühne vorwiegend synchron agieren, immer wieder durchbrochen von Soli oder Zweier-Arrangements, in denen sich die Darsteller begegnen, sich umeinander wickeln und wieder verlieren, ein ständiges Hin und Her von Individuum und Gruppe. Erst spät schält sich aus der Choreograf selbst aus dem schwarzen Mummenschanz... Bewundernswert jedoch die Kondition und Präzision, mit der die sechs Tänzer 90 Minuten lang nahezu ununterbrochen über die Bühne wirbeln, spritzig der revueartige Beginn zu eingängiger Disco-Musik – das zündet und ist bis in kleinste Gesten durchgearbeitet. Immer wieder begeistern auch Details – die weit gedehnten, schwingenden und wischenden Bewegungen, die sich manchmal wie in Zeitlupe durch den Raum schraubenden Körper, die fein ausgetüftelte Lichtregie, die Spiegelung der Bewegungen im glänzenden Ballett-Teppich, die für eine stellenweise magische Doppelung sorgen. Aber Greco zerstört jeden Ansatz von Poesie durch eine lähmende Redundanz der Körpersprache, durch knallig-laute Effekthascherei bei den szenischen Übergängen und eine aufdringliche elektronische Musik-Collage. Am eindrücklichsten wirkt die Choreografie ausgerechnet zu Tangomusik oder auch zum ersten Satz aus Beethovens Fünfter Sinfonie sowie zu einsamen, leisen Glockenklängen – da lässt sich erahnen, wieviel Fantasie und Kreativität Emio Greco eigentlich zu bieten hat. Nicht wenige Zuschauer haben allerdings nicht so lange ausgehalten und verließen während der gesamten Vorstellung immer wieder das Stück.

Komplett überflüssig die Nacktheit der Tänzer am Schluss des Stücks (die bei den Männern, mit Verlaub, stellenweise einfach nur komisch ist...). Auch wenn sich dabei Metaphern wie Reinigung, Wiedergeburt, Reinheit, Unschuld aufdrängen, so verliert nicht zuletzt auch dadurch die Choreografie an Präsenz und Konzentration. Wenn Emio Greco sich entschließen könnte, sich auf das wirklich Wesentliche zu konzentrieren und das Stück auf eine Dauer von 30-45 Minuten zu verdichten, könnte „Hell“ ein formidables, mitreißendes Bewegungs-Inszenario sein, voller assoziativer Bilder und Momente. So jedoch verlor es sich in überwiegend seelenloser Einöde. Schade. Ärgerliches Detail am Rande: Leider erfährt man weder über den Choreografen selbst noch über seinen Kompagnon Pieter Scholten (der überraschend kurz vor Schluss aus dem Publikum in die Szene tritt und wieder verschwindet) oder seine Tänzer Näheres im Programmheft oder auf den Kampnagel-Internet-Seiten.

Weitere Vorstellungen am 14. und 15.8., jeweils 21 Uhr

www.kampnagel.de
www.jochenroller.de
www.ickamsterdam.com

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