Mein Kampnagel Sommerfestival 2009

Ein Blog von Bettina Preuschoff

Hamburg, 21/08/2009

Nach drei Jahren Festivalabstinenz stürze ich mich in diesem Jahr endlich mal wieder ins Geschehen. Neugierig bin ich, als ich in Begleitung meiner Nachbarin Manu auf dem Kampnagelgelände ankomme. Das Programm fand ich spontan spannend, eine Mischung aus mir persönlich bekannten Künstlern, aber auch Kompanien, die ich schon immer mal sehen wollte. Ein prall gefülltes Programm verheißt eine knackige Mischung aus Musik, Theater, Tanz und Installationen.

Wir holen unsere Tickets und beschließen erstmal das Gelände zu erkunden. Durch das Hauptgebäude hindurch (vorbei an zwei ineinandergecrashten Porsche Cayenne aus Holz) geht es zum mit Mulch ausgelegten Außenbereich. Wir blicken gleich auf die Wasserinstallation von Julius Popp, direkt am Osterbekkanal purzeln scheinbar unzusammenhängende Worte aus Wasser geformt in den Kanal. Das fasziniert, weckt das Kind in uns, wir wollen verstehen, wie das funktioniert, noch ist es zu hell, um wirklich alle Wörter gut lesen zu können und wir beschließen unbedingt nach der Vorstellung zurückzukehren.

Neben der Wörterflut von Herrn Popp die Außenbar: die Decke glitzert und glimmert silbern, wie eine Feenherberge im Zauberwald, einfach schön. Während wir überlegen, ob und was wir trinken wollen, hören wir einen Herren im Blaumann erklären was die anderen Jungs und Mädels – ebenfalls in Blaumännern - gerade an den Autowracks vollführen.

Mittlerweile eine Apfelschorle in der Hand betrachten wir amüsiert das Treiben. Das Autorad ist abmontiert, wird zum Fahrrad gerollt, „eingepasst“ und fertig. Wir müssen lachen, auch wegen der Ernsthaftigkeit, in der der Herr in Blau das Ganze moderiert. Kunst in Zeiten der Abwrackprämie.

Wir schlendern weiter über das Gelände, Liegestühle laden zum Ausruhen ein, ein Stückchen weiter erspähen wir einen Tanzboden.

Stimmt! Das hatte ich ja auch im prall gefüllten Programm gesehen, Salsa und Tangoabend (mit Orchester) finden dann wohl hier statt, da muss ich unbedingt hin. Ich bin spontan begeistert, es ist ein Festival, das sich in dieser Hinsicht deutlich von seinen früheren Ausgaben unterscheidet, es ist mehr als nur das Übliche: in die Vorstellung reingehen evtl. noch ein Bier trinken und dann ab nach Hause, hier hat man richtig Lust mehr Zeit zu verbringen, ich bekomme wirklich ein Festival-Feeling und freue mich auf die nächsten zweieinhalb Wochen.

Kurz vor neun, auf dem Weg zur K6 hören wir mit halbem Ohr die „warmen Reden“ zur Eröffnung und ich schnappe amüsiert auf, dass Amelie Deuflhard die französische Choreografin Mathilde Monnier (Leiterin des Nationalen Choreografischen Zentrums in Montpellier) als die französische Pina Bausch ankündigt. Das ist –wie sagt man doch so schön - als ob man Äpfel mit Birnen vergleichen würde.

Ich schleppe Manu in „Hell“ von Emio Greco. In 1980er Showtanzmanier fegen die Tänzer über die Bühne, die noch eintretenden Zuschauer laufen direkt vor ihrer Nase herum, als ob da noch nichts geschehen würde auf der Bühne.
Für einen Moment finde ich das ganz lustig, betrachte das Treiben auf der Bühne, betrachte aber auch die Menschen, die bereits in der K6 sind und die, die gerade reinkommen.

Die slapstikhafte Choreografie wiederholt sich und ich frage mich, ob alle Zuschauer verstehen, dass es sich hier um eine Persiflage handelt. Noch finde ich das alles ganz amüsant, aber als dann der zweite Musiktitel beginnt und immer noch das Gleiche passiert, beginne ich mich zu langweilen. Beim anschließenden dritten 80er-Jahre-Tanzhit mag ich nicht mehr. Tja und genau das beschreibt eigentlich in ein paar kurzen Worten den gesamten Abend: ewige Wiederholungen, die zu lange dauern und die Frage nach dem „Warum“. Emio Greco, der eindeutig auf meiner Liste der Kompanien „wollte ich endlich mal sehen“ stand, rutscht jetzt auf die Liste „okay, ich war da“. Unweigerlich muss ich an meine Zeit in Montpellier denken, Improstunden mit Yann Lheureux, manchmal artete es aus, wir fanden kein Ende und dann kam von Yann ein ruhiges „noir“ aus der Ecke. Das hieß so viel wie Vorhang, Ende. Ich lenke mich phasenweise damit ab, mir vorzustellen wie es jetzt wäre laut „noir“ noir zu sagen und frage mich auch, ob es den (ausgezeichneten)Tänzern Spaß macht 100 Minuten immer wieder das Gleiche zu machen.

Ach, da ist er ja wieder, der Donner/das Getöse, jetzt dürfen die Tänzer gleich wieder auf dem Boden fallen um anschließend zu esoterisch anmutenden Klängen in etwas softere Bewegungsmuster zu verfallen. Ich schließe schon Wetten mit mir selbst ab, beobachte das Publikum und bin irritiert von der bedeutungsschwangeren Aura der Akteure. Nach – wie gesagt - 100 langen Minuten sitze ich enttäuscht und etwas irritiert auf meinem Platz, drehe mich um und fange den Blick einer hinter mir sitzenden Freundin auf und in ihren Augen lese ich sofort: Was sollte das denn bitte? Manu, ich hätte Dir als erste Erfahrung mit zeitgenössischem Tanz etwas Gehaltvolleres gewünscht.

Erstmal ab an die Bar und Bier trinken. Ich treffe meine Freundin Irmela und wir drei beschließen direkt in die Ausstellung von Christoph Schlingensief zu gehen. Wir haben Spaß, soviel ist klar, wir schlängeln uns durch die verschiedenen Räume und landen in einer skurrilen Welt aus Gerüchen, Bewegung, Bildern und Filmen (ein toller Erwachsenen-Spielplatz!). Wir bekommen von einem freundlichen Asiaten Reis angeboten, verlieren auf der Drehbühne das Raumgefühl und amüsieren uns über einen Christoph Schlingensief, der auf einem kleinen TV zu sehen ist und auf dem Kopf eine blonde König Löwenherz-Perücke trägt wie er freundlich lächelnd „I want to destroy the parliament“ durchdekliniert. Am Schluss gibt es auch noch einen kleinen Schuss Wagner und wir sind wieder draußen.

Im Dunkeln gönnen wir uns noch mal die Wasser-Buchstaben-Suppe von Herrn Popp, wundervoll! Noch im Auto habe ich es im Kopf: I want to destroy the parliament, you want to destroy the parliament, he wants to destroy the parliament… wir lachen wieder...


21.8.2009
Mein 2. Festivalabend steht im Zeichen des Drachens: „LA MÉLANCOLIE DES DRAGONS“ von Philippe Quesne/Vivarium Studio, Paris steht auf meinem persönlichen Festivalplan. Als ehemalige Wahlfranzösin bin ich mehr als gespannt! Nach meinem Abend in der Hölle bei Herrn Greco am Donnerstag blicke ich in die vielen begeisterten Gesichter, die aus der Vorstellung der „melancholischen Drachen“ ins Foyer strömen. Ich lese im Programmheft und im Internet, dass Philippe Quesne in seinem Vivarium Studio mit Malern, Musikern, Tänzern und Schauspielern ungewöhnliche Stücke entwickelt und auch Tiere in seine Performances integriert.

Das Bühnenbild – eine verschneite Winterlandschaft, ein uralter AX nebst Anhänger - mutet skurril an, sitzen wir doch bei hochsommerlichen Temperaturen schwitzend in der K6. Im Auto sitzen vier langhaarige Typen, Bier aus der Dose trinkend, rauchend, harte Musik hörend, ein schwarzer Hund – Hermés heißt er, wie ich später im Gespräch mit einem der Akteure erfahre - mittendrin. (Hermés wirkt übrigens etwas traurig, als ich ihn nach der Vorstellung auf dem Festivalgelände treffe und streichle, sein Menschenfreund erklärt mir auf französisch, dass es ein Drama für Hermés sei ein Hund zu sein, er wäre doch sooo gerne ein menschliches Wesen.) Was ist hier los? Eine gestrandete Heavy Metal Band in der tiefsten Provinz? Das Auto ist kaputt, soviel ist klar. Isabelle, eine Frau aus der Region, versucht es zu retten, doch leider dauert es sieben Tage um einen Veeerteiilerkooopf (wunderbar mit französischem Akzent) zu besorgen und so fragt sie mit freundlicher Gutmütigkeit, was die Jungs denn machen würden und was sich in dem Anhänger befinden würde. Es purzeln zwei weitere langhaarige Freaks aus dem Anhänger heraus. Einen Freizeitpark wollen sie aufmachen, erzählen sie der erstaunten Frau mit dem Metallica-T-shirt und der wirklich fiesen lilafarbenen Daunenjacke.

Die Utensilien, die ihnen zur Verfügung stehen, scheinen eher lächerlich zu sein, doch Isabelle begutachtet alles mit dem naiven Gesicht eines beeindruckten Kindes. Da wehen Perücken - mit einer Windmaschine in Bewegung gesetzt - im gläsernen Autoanhänger, es schweben Seifenblasen über die Bühne, eine Kiste mit Büchern gefüllt wird als Bibliothek deklariert, Isabelle darf eine Runde mit dem Langlaufski über die Bühne rutschen, ein kleiner, knochiger Baum symbolisiert die Natur und ein Zimmerspringbrunnen (Hermés trinkt eine Runde und hat die Lacher auf seiner Seite) steht für das Element Wasser. Philippe Quesne komponiert traumwandlerische, betörend schöne Bilder, der Bühnenraum erhält eine neue Dimension. Wie eine Choreografie ohne Tanz mutet der Schluss an. Riesengroße mit Luft gefüllte Säcke wiegen sich gemächlich hin und her.

Die Dame zu meiner Rechten sitzt stocksteif auf ihrem Stuhl und findet das Dargebotene anscheinend völlig doof Beifall? Fehlanzeige. Der ältere Herr auf der anderen Seite ist begeistert. Ich bin es auch, dieses Mal habe ich mich keinen Moment gelangweilt. Ich sitze auf meinem Platz, mittendrin, und überlege, warum mir dieses Stück so gut gefallen hat. Vielleicht, weil es für mich eine Antwort und eine humorvolle und zugleich liebevolle Kritik an der so oft stattfindenden leeren, bedeutungschwangeren Bühnenpräsenz mancher Kompanien ist. Da braucht es keine pseudoskandalträchtigen Nackttänze auf Beethoven wie bei Herrn Greco (die waren der Bild-Hamburg sogar einen Artikel wert), da reicht es voller Inbrunst auf der Flöte „Still loving you“ von den Scorpions zu spielen. Da reichen kleine Gesten, Körperhaltungen, Präsenz und merkwürdige Dialoge in gebrochenem Englisch.

Heute verlasse ich beschwingt und leise lächelnd die K6, drehe noch eine Runde über das Festivalgelände, trinke ein Bier und treffe auf viele ebenfalls positiv gestimmte Freunde und Bekannte.


25.8.2009
Wie immer schlendere ich erstmal über das Festivalgelände, heute habe ich einen Freund eingeladen mich zu begleiten, den Fotografen Torsten Kollmer. Danke für die tollen Fotos! Nach einem kurzen Abstecher bei Herrn Schlingensief geht es wieder mal in die K6: „Tempo 76“ von Mathilde Monnier (Montpellier) bedeutet für mich eine Reise in meine südfranzösische Vergangenheit.

Von 1993-2000 lebte ich in dieser schönen Stadt und verbrachte das letzte Jahr als „Stagiaire“ im Centre Chorégraphique National Montpellier Languedoc-Roussillon, welches schon damals von Mathilde Monnier geleitet wurde. Wir waren die „Versuchskaninchen“, der erste Jahrgang des heute international ausgeschriebenen, renommierten Projektes, das jungen Tänzern den Schritt vom Studium ins Berufsleben erleichtern soll. Morgens nahmen wir am öffentlichen Profitraining statt, nachmittags gab es dann Workshops in Improvisation, Komposition und es wurde Performances vorbereitet, die oft auch an ungewöhnlichen Orten stattfanden. Gastlehrer aus der ganzen Welt waren eingeladen und wir hatten die Möglichkeit in viele Techniken und Methoden einzutauchen. Auch mit Mathilde Monnier arbeiteten wir auf den Spuren Ihrer Kreation „Nuit“, in der es um das Blindsein ging. In der K6 sitzend beginne ich zu überlegen, wie lange das alles her ist, es war die Saison 1995-96, wie die Zeit rennt, also ist es auch über 10 Jahre her seit ich eine Produktion von Monnier gesehen habe.

Im Programmheft lese ich, dass die Choreografin in diesem Stück das Stilmittel des Unisono erforscht hat. Jetzt ist meine Neugier geweckt, M. Monnier hat sich bewusst ein Stilmittel ausgesucht, das sie bisher immer gemieden hat, spannend.

Auf dem mit Rollrasen ausgelegten Bühnenboden tummeln sich bald 9 Tänzer, Alltagsbewegungen und Gesten werden auf den Punkt gemeinsam ausgeführt. Es ergeben sich wundervolle perspektivreiche Bilder. Darin liegt für mich auch die Stärke des Abends, wie Monnier es schafft den minimalistischen Raum immer wieder aufs Neue zu öffnen und zu vergrößern, wie sie die Tänzer formiert und dadurch eine Körper- und Raumdynamik schafft. Tänzer wie das langjährige Kompaniemitglied Herman Diephuis, Natacha Kouznetsova, die im Jahrgang nach mir das Programm im Centre absolvierte oder auch eine wundervolle I-Fang Lin, die ich früher als Interpretin in der Cie. Camionetta schätzte.

Als französische Pina Bausch wurde sie im Programmheft angekündigt, und ja es werden Emotionen gezeigt: Traurigkeit, Lustigkeit und auch Panik, aber es fehlt die Tiefe in der Recherche wie bei einer Pina Bausch, wir bleiben ein wenig ratlos ob der Gefühlsausbrüche. Es gibt einige sehr schöne Bilder und das Licht von Éric Wurtz, mit dem Mathilde Monnier schon seit vielen Jahre arbeitet ist phasenweise ein Geniestreich und doch schleicht sich bei mir ein Gefühl von „etwas fehlt“ ein.

Gegen Schluss heben sich die Ränder zwischen den einzelnen Rollrasenbahnen, wie ein grinsendes Monster aus der Sesamstraße und um mich herum höre ich einige unbeschwerte Lacher.
 

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