Kresnik rechnet ab

„Der Ring des Nibelungen“ als „choreographisches Theater“ in Bonn

Bonn, 10/02/2008

Als Johann Kresnik, 1974 in Bremen, „Die Nibelungen“ als „Porno-Comic“ (wie ich damals in der FAZ schrieb) auf die Bühne brachte, war das Publikum amüsiert, die Kritiker eher beleidigt. Jetzt, da seine Zeit als Bonner Tanztheater-Chef zu Ende geht, nimmt der Choreograf einen neuen Anlauf auf den Stoff. Doch was ihm damals Anlass zu einer Auseinandersetzung mit dem klassischen Ballett war, wird ihm jetzt zur großen Abrechnung nicht nur mit dem Komponisten Richard Wagner, sondern im Grunde mit der ganzen Welt.

Schon im Untertitel zu seinem „Ring des Nibelungen“ – „Siegfried/Götterdämmerung“ – bezieht er sich ausdrücklich auf Richard Wagner, und im Stück selbst schickt er nicht nur des Komponisten Personal, sondern auch ihn selbst und seine Familie auf eine Bühne, die er am Ende zu Kleinholz macht. In seinem letzten Bonner Stück schlägt Kresnik die (Theater-)Welt unter großem Getöse buchstäblich in Stücke. Gernot Schedlberger hat für Kresnik eine Musik geschrieben, in der (von Peter Bortfeld und Claudio Frasseto) zwei live gespielte Klaviere neben einer eher banalen Klangkulisse vom Tonband die bewusste Erinnerung an Jooss’ „Grünen Tisch“ wachrufen.

Doch der eigentliche Star der Aufführung ist weder die Musik, noch der schmale, langhaarige Siegfried-Darsteller Sascha Halbhuber Stead und nicht einmal der Choreograf selbst, sondern sein Bühnenbildner: der Maler Gottfried Helnwein. Wenn über einen Zwischenvorhang nicht gerade ein Ausschnitt aus Fritz Langs klassischem, aber komisch wirkendem „Nibelungen“-Stummfilm oder ein Comic mit Donald Duck im Nazi-Land flimmert, beherrscht, bis es krachend eingerissen wird, ein riesiges Krankenbett die Szene: Symbol für den Brünnhilde-Felsen. Vorübergehend rückt, Versinnbildlichung des goldenen Nibelungen-Schatzes, ein gigantischer, vergoldeter Lastwagen-Reifen ins Zentrum der Aufführung, und zum Finale fährt Helnwein nicht nur einen ganzen Autofriedhof auf, sondern wirft aus dem Bühnenhimmel auch noch eine große Ami-Karosse auf den anderen Schrott, ehe er ihm den Inhalt eines Kühlschranks und den Schrank selbst folgen lässt, der von Anfang an drohend über der Aufführung hing. Am Ende fallen sogar die Attrappen der beiden Flügel in den Orkus unter der aufgerissenen Bühne; es bleibt, sozusagen, kein Stein auf dem anderen.

Ansonsten wird, von immerhin 25 Darstellern, vor allem gekämpft und gekrampft, geschlachtet und gemordet. Tanz findet vor allem als Geraufe und Gerammel statt; außer Spreizschritten und Verklemmtheiten hat die Choreografie kaum etwas zu bieten. Konkrete Geschichten erzählen Kresnik und sein Librettist Christoph Klimke im Grunde nur noch auf dem Programmzettel, wo sie 23 Szenen auflisten: 14 für „Siegfried“ und neun für „Götterdämmerung“. Auf der Bühne darf Richard Wagner Antisemitisches verlesen und seinem Siegfried die Porträts von Bin Laden und George W. Bush, Nord-Koreas Kim Il-Sung und Irans Ahmadinedschad auf die Brust projizieren lassen. Denn in Kresniks Welt des Bösen passt alles zu jedem; da dürfen auch Bilder von Al Qaida-Terroristen und islamistischen Selbstmordattentätern nicht fehlen.

Unzweifelhaft hat Kresnik in früheren Stücken schon Ekligeres auf die Bühne gekippt – und das gleich kübelweise. Auch diesmal bietet er seinem Publikum die unverzichtbaren männlichen und weiblichen Nackedeis; mit blutroter Farbe und getürkten Innereien wird fleißig herumgespielt. Aber irgendwie bleibt doch alles braver als in jüngeren Jahren. Es ist nicht nur so, dass wir uns an Kresniks Provokationen gewöhnt hätten. Anno 2008 fehlen dem 68-jährigen wohl auch die Kraft und der Biss. Es reicht nur noch zum Zerschlagen, mit einer neuen, vielleicht gar utopischen Sicht der Dinge – wie sie manche frühen Stücke Kresniks durchaus boten – kann uns der große Berserker des deutschen Tanztheaters nicht mehr dienen. Gleichwohl Riesenjubel und sogar Bravorufe nach dem letzten Vorhangfall. Aber das wirkt dann nur noch peinlich.

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