Another good old new dance
„Kampung Baru (New village)“ by Raymond Liew Jin Pin as a video-stream
Was für gute Nachrichten! In Zeiten, in denen gefühlt und tatsächlich alles reduziert und eingekürzt wird, meldete explore dance – Tanz für junges Publikum am Donnerstagnachmittag, dass das bundesweite Netzwerk um zwei weitere Partner wächst. Mit dabei sind nun auch das Künstler*innenhaus Mousonturm und Perform[d]ance in Stralsund. Damit sitzt neben einem weiteren renommierten internationalen Produktionshaus nun auch erstmals eine Institution aus einer Mittelstadt im Boot – die Vertretung ostdeutscher Bundesländer ist mit nun drei Städten (Potsdam, Dresden und Stralsund) stärker denn je.
Die wertvolle und ungemein vielseitige Arbeit des Netzwerks, das sich seit sieben Jahren ganz dem Tanz für junges Publikum verschreibt, war gerade wieder hautnah auf Kampnagel in Hamburg zu spüren. Mit „Tie Break“ von Constantin Trommlitz gibt es dort eine neue mobile Popup-Produktion. Der aus Deutschland kommende und in den Niederlanden lebende Choreograf mit Hintergrund in Breakdance ist einer der drei Residenzchoreograf*innen dieser Spielzeit bei K3 – Zentrum für Choreografie. Im März zeigte er beim Festival TanzHochDrei „Silver Linings“, eine künstlerische Erforschung chronischen Schmerzes. Schön, dass nach der Premiere für Trommlitz nicht direkt Schluss war bei K3 und er sich für das Popup u. a. Marino Ariza, der Ende Juni im Rahmen von Limited Edition – der Nachwuchsplattform von K3 – vertreten war, als Tänzer ins Team geholt hat. Nachhaltige künstlerische Beziehungen sind in prekären Zeiten wie diesen wichtiger und wertvoller denn je.
„Tie Break“ bedient sich dem Prinzip des Tanzbattles, um vielseitige Bilder innerer und äußerer Kämpfe zu produzieren. Die Tänzer*innen Victor Karwath, Marino Ariza und Alanna Reimpell Bravo konfrontieren sich in ständig wechselnden 2:1-Konstellationen – mal spielerisch, mal provokativ herausfordernd, manchmal auch bedrohlich. Zwei von ihnen beobachten, kommentieren gestisch und mimisch das, was die dritte Person für sie (oder auch für sich?) tanzt – ein energetischer Mix aus Breakdance, Popping, zeitgenössischen und lateinamerikanischen Einflüssen. Bis zur Erschöpfung verausgabt sich da z.B. Alanna Reimpell Bravo – in ihrem Gesicht zeichnet sich der Druck auf eine ganze Generation zwischen Leistungsdruck, Zukunftsängsten und Weltschmerz ab. Ein rechteckiger Metallrahmen wird auf Rollen durch den Raum der P1 bewegt und erinnert als durchsichtige Spiegelwand zunächst an den Selbstdarstellungswahn im digitalen Raum, später aber, wenn die drei Tänzer*innen nun spielerischer durch ihn hindurch springen, symbolisiert er auch die Befreiung von derartigen Zwänge.
Insgesamt schwebt eine große Schwere über dem 45-minütigen Stück. Zwar sind die Tanzschritte virtuos und kraftvoll, das manchmal aufkommende Lachen auf dem Gesicht einer der Performenden ist aber nie von Dauer. Bis kurz vor Ende, wenn sich die drei erstmals aus den 2:1-Konstellationen lösen und zu dritt in eine rührige Umarmung finden. Gemeinschaft als Befreiung von inneren Kämpfen – das ist sicher keine neue Idee, in unserer dystopisch anmutenden und in Vereinzelung organisierten Gegenwart aber doch wirkungsvoll. Das Highlight – eine leichtfüßige tänzerische Zugabe, wird bei den kommenden Schulaufführungen sicher laustark von den Jugendlichen gefeiert.
Trotz immenser künstlerischer Erfolge für explore dance waren die vergangenen Jahre durchaus geprägt von einem andauernden kulturpolitischen Ringen um eine nachhaltige Förderung für das Netzwerk. Mit einem die künstlerische Vielfalt erweiternden Stück im Repertoire und zwei neuen Partnern kann man jetzt, zum Ende der Saison und des Schuljahres, aber durchaus zuversichtlich in die Zukunft blicken. Herzlichen Glückwunsch!
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