Tanzkongress 2019 im Festspielhaus Hellerau bei Dresden
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Zerreißende Netze

Bundestag streicht reihenweise Förderungen für den Tanz

Immer deutlicher werden die Folgen der Tanz-Sparrunde des Bundesstaatsminister für Kultur: Das Bündnis internationaler Produktionshäuser wird nicht weiter gefördert, ebenso ist explore dance masisv gefährdet. Auch das Programm „Verbindungen fördern“ und damit das Bündnis Tanz weit draußen steht vor dem Aus.

Berlin, 20/11/2025

Das Schlimmste schien zunächst abgewendet. Die Bundesregierung stabilisiert die Förderung des Fonds Darstellende Künste mit 8,59 Mio. Euro. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille, denn gleichzeitig fallen zahlreiche bundesweit relevante und strukturell wirkende Netzwerke und Projekte aus der Bundesförderung – trotz Rekord-Etat von 2,57 Mrd. Euro im Kulturbereich. Die bundesweiten Freien Darstellenden Künste stehen vor einer kritischen Zäsur und besonders Projekte und Netzwerke, von denen Tanzschaffende profitieren, sind von den Kürzungen betroffen. Das Bundesnetzwerk flausen+/flukks+, das Netzwerk Freier Theater (NFT) oder FestivalFriends als Zusammenschluss regionaler Festivals fallen trotz großen Engagements des Fonds und vieler Partner*innen aus der Bundesförderung heraus. 

Ohne Anschluss: Auch „Verbindungen fördern“ vor dem Aus

„Verbindungen fördern“ ist eine beispielhafte Form der bundesländerübergreifenden Netzwerk- und Strukturförderung. Die mehrjährige Unterstützung sichert eine neue Nachhaltigkeit und strukturelle Kontinuität künstlerisch kultureller Arbeit. Dabei sind Strukturen zum nachhaltigen Austausch unterschiedlicher Expertise und verlässliche Angebote zur kulturellen Versorgung entstanden. Die Innovationskraft der Freien Darstellenden Künste konnte selten so effektiv zur Wirkung kommen. Mit dem Wegfall der Förderung geht diese Arbeit zu Ende. Weder kommunale noch Landesförderungen können den Wegfall der Bundesförderung auffangen.

Das betrifft etwa tanz weit draußen (tdw), ein landesübergreifender Zusammenschluss von Tanzinitiativen mit dem Fokus auf den ländlichen Raum. Seit 2022 stärkt das Bündnis gleichwertige Lebensverhältnisse und die Attraktivität ländlicher Regionen. Das Netzwerk verbindet Zivilgesellschaft, Kunst und Politik, schafft kreative Impulse und bringt Menschen – über Generationen, Sprachen und Lebenswelten hinweg – zusammen. Mit acht Partnerinstitutionen in sechs Bundesländern und rund 800 assoziierten Akteur*innen fördert twd Austausch, Wissenstransfer und nachhaltige Strukturen für Tanz in ländlichen Räumen. Formate wie Residenzen, Festivals, Workshops, Fachtreffen und digitale Reihen stärken die kulturelle Teilhabe und den professionellen Austausch bundesweit. Das Bündnis schreibt: „Tdw stärkt damit eine Kunstform, die große Potenziale der gesellschaftlichen Teilhabe entfaltet, und hat Modellcharakter für Kulturarbeit außerhalb urbaner Zentren. Durch die Verbindung professioneller künstlerischer Praxis, Kulturvermittlung und partizipativer Formate entstehen Orte des Dialogs, der Kreativität und des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Gerade in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Polarisierung ist diese Arbeit unverzichtbar. Tanz als gemeinschaftsstiftende Praxis stärkt Vertrauen, Empathie und Mut – besonders in ländlichen Regionen, in denen politische Spannungen und Vereinzelung besonders spürbar sind. Dafür braucht es verlässliche Strukturen und langfristige Netzwerke.“ An die Bundesregierung hat das Bündnis angesichts der aktuellen Kürzungen fünf Forderungen:

  • Langfristige Förderung überregionaler Netzwerkstrukturen
  • Stärkung der Freien Darstellenden Künste und deren Innovationskraft
  • Demokratisches Engagement im Kulturbereich anerkennen und stärken
  • Programme wie „Verbindungen fördern“ als zentrale Säulen unserer kulturellen und demokratischen Zukunft sichern
  • Aufbau einer systematischen Tanzförderung auf Bundesebene

Kein Tanz für junges Publikum? Explore dance ist gefährdet

Aus der Förderung fällt auch Explore dance, das mobile Tanzproduktionen für junges Publikum in einem Netzwerk aus sechs Partnern produziert und bundesweit zirkuliert. Es wurde 2024 mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichnet, gilt als erfolgreiches Pionierprojekt und soll im nächsten Jahr nicht weiter durch den Bund gefördert werden. 

Die Streichung der Bundesförderung trifft das Netzwerk zu einem Zeitpunkt, da es sich einer stetig steigenden Nachfrage von Schulen und Bildungseinrichtungen gegenübersieht. Erst in diesem Jahr hatte sich explore dance mit dem Künstler*innenhaus Mousonturm in Frankfurt (Main) und Perform[d]ance in Stralsund auf insgesamt sechs Partner aus sechs Städten der Bundesländer Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen erweitert, um Angebote auszubauen, Vorstellungen weiter in die Fläche zu bringen und noch mehr Kinder und Jugendliche in ganz Deutschland unabhängig von ihrem Wohnort oder sozialen Hintergrund zu erreichen.

„Unsere Enttäuschung ist groß, denn ausgehend von der positiven Resonanz auch im politischen Raum waren wir sehr optimistisch, dass die erfolgreiche Arbeit von explore dance durch die Bundespolitik weiter unterstützt wird. Das ungebrochen hohe und weiter wachsende Interesse an Kooperationen und Tanzproduktionen für junges Publikum zeigt deutlich, wie wichtig der Zugang zu Kunst und Kultur gerade auch für junge Menschen und deren Stärkung als ein Publikum von heute ist, sowohl in den Städten wie auf dem Land. Das ist nun ein Schritt zurück und in die falsche Richtung. Die Förderung von künstlerischem Erleben für Kinder und Jugendliche braucht Kontinuität. Die bestehende Lücke im Kulturangebot für Kinder und Jugendliche darf nicht noch größer werden“, so die Vertreter*innen des Vorstands von explore dance, Dr. Kerstin Evert von K3 | Tanzplan Hamburg und Sven Till von der fabrik Potsdam. 

Die bundesweite Arbeit des Netzwerks und zahlreiche geplante Gastspiele und Neuproduktionen für 2026 sind nun akut gefährdet. Denn obwohl das Netzwerk fortlaufende Unterstützung von Ländern und Kommunen sowie Stiftungen der inzwischen sechs Partnerstädte – Hamburg, München, Potsdam, Frankfurt (Main), Stralsund und Dresden – erhält, sind zusätzliche Bundesmittel essentiell, um neue Tanzstücke zu produzieren, nachhaltig zu touren und um Kindern und Jugendlichen in ganz Deutschland – in ländlichen wie in urbanen Räumen – die Teilhabe an künstlerischem Erleben und Zugang zur Kunstform Tanz zu eröffnen.

35 Tanzproduktionen für junges Publikum hat explore dance in den letzten acht Jahren bundesweit und international in Städten und im ländlichen Raum mit über 650 Vorstellungen vor jungem Publikum auf Bühnen, in Schulen, Kultureinrichtungen und im öffentlichen Raum gezeigt. Zum Netzwerk gehören fabrik Potsdam, Fokus Tanz München, HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden, K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg, Künstler*innenhaus Mousonturm Frankfurt/Main und Perform[d]ance Stralsund. 

Auf der Streichliste: Das Bündnis internationaler Produktionshäuser

Besonders bitter für die Tanzlandschaft: Das Bündnis internationaler Produktionshäuser wird trotz Rekord-Etat für Kultur und Medien im Jahr 2026 nicht mehr gefördert. Damit endet ein erfolgreiches, bestens evaluiertes Modell der Bund-Land-Kommunen-Kooperation in der Förderung bundesrelevanter Orte der deutschen und internationalen Freien Darstellenden Künste. Das Bündnis internationaler Produktionshäuser ist im Bundeshaushalt aber nach 10 Jahren erstmals nicht mehr berücksichtigt. Damit hat ein erfolgreiches Kooperationsmodell für die Etablierung, Entwicklung und Internationalisierung der Freien Darstellenden Künste keine Unterstützung mehr in der Bundeskulturpolitik.

Zu dem Bündnis gehören Schwergewichte der Freien Szene: Kampnagel Kamburg, Künstler*innehaus Muosontum Frankfurt, tanzhaus nrw Düsselsdorf, PACT Zollverein Essen, Hellerau Zentrum der Künste Dresden, Forum Freies Theater Düsseldorf und HAU Hebbel am Ufer Berlin. Die sieben Leiter*innen fordern in einer Stellungnahme die Bundesregierung auf, die Streichung zurückzunehmen, um auch zukünftig auf Bundesebene grundlegende und wegweisende Aufgaben nationaler und internationaler Kulturpolitik gemeinsam gestalten zu können.

„Die vollständige Streichung der Förderung für bundesweit wichtige Netzwerke ist ein kulturpolitischer Rückschritt. Dies gilt einmal mehr für die Streichung des Bündnis internationaler Produktionshäuser, die schwerwiegende Folgen haben wird: eine Schwächung von künstlerischer Innovationen und nationaler wie internationaler Strahlkraft“, so Amelie Deuflhard, Vorstandsmitglied des Fonds und Intendantin von Kampnagel Hamburg im Bündnis internationaler Produktionshäuser.

In der Stellungnahme der Leitungen der betroffenen Häuser heißt es: „In der Transformation von Kulturinstitutionen und der Arbeit an der Zukunftsfähigkeit der deutschen Theaterlandschaft ist das Bündnis Innovationsmotor und ohne diese Arbeit erleidet die Entwicklung progressiver Formate und neuer Produktionsweisen schweren Schaden. In Sorge versetzt uns diese Entscheidung auch bzgl. der Signalwirkung in die Länder und Kommunen: In Zeiten knapper Kassen werden die zukunftsweisenden, internationalen Projekte zuerst fallengelassen. Der BKM und die Regierungskoalition setzen mit ihrer Entscheidung die Sichtbarkeit der Freien Szene bundesweit und international aufs Spiel und engen öffentliche künstlerische und kulturelle Räume erheblich in ihrer internationalen Ausrichtung ein.“ 

Sie kritisieren, dass die größten Aufwüchse im Kultur- und Medienetat in die Kulturbauten-Offensive fließen: „Wir halten es für bedenklich, die Häuser zu pflegen, nicht aber die beweglichen und innovativen Programme, die mit dem Publikum und den internationalen Stadtgesellschaften in einen Austausch gehen und die Kulturbauten beleben.“ 

Carena Schlewitt, Intendantin von HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste sagt dazu: „Für HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste, größtes Produktionshaus in Ostdeutschland, bedeutet das Ende der Bundesförderung des Bündnisses internationaler Produktionshäuser eine massive Einschränkung des internationalen Programms in den Bereichen Tanz, Musik, Performance und Theater. Insbesondere sind damit die gewachsenen Kooperationen mit osteuropäischen Partnern und Künstler*innen aus Osteuropa nun massiv gefährdet; das betrifft leider auch die Partnerschaften mit Künstler*innen, in deren Heimat die Kunstfreiheit bedroht ist und die ein Stimme und Sichtbarkeit bei uns benötigen. In gleichem Maße ist auch das weltweit agierende und erfolgreiche HELLERAU-Residenzprogramm für Künstler*innen stark gefährdet.“ 

Politik verfehlt eigene Zielvorgabe

Die im Koalitionsvertrag festgeschriebene „Systematisierung der Kulturförderung“ ist eine eindeutige Zielvorgabe für die Bundesregierung und ihren Beauftragten für Kultur und Medien: Die Freien Künste sollen gestärkt und zukunftsfähig aufgestellt werden. Mit dem Rekordetat für Kultur 2026 wird diese politische Zusage bislang nicht eingelöst – im Gegenteil: Die ersatzlose Streichung von Netzwerken und Projekten stellt die bundesweiten Freien Darstellenden Künste erneut vor große Herausforderungen. Der Fonds Darstellende Künste als Bundesförderer steht damit unter deutlich erhöhtem Druck: Er muss im kommenden Jahr mit begrenzten Mitteln wesentliche Strukturen und zentrale Förderprogramme gewährleisten.

„Wir sehen uns als Förderer der bundesweiten Freien Darstellenden Künste mehr denn je in der Verantwortung, gemeinsam mit den Ländern relevante Künstler*innen und Strukturen zu fördern und die Vielfalt des freien Produzierens in Tanz, Theater und Performance zu sichern – trotz begrenzter Mittel“, erklärt Holger Bergmann, Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste.

Damit die im Koalitionsvertrag zugesagte Stärkung der Freien Künste Realität wird, appelliert der Fonds an den Kulturstaatsminister und bittet um eine Kurskorrektur im Haushaltsvollzug.

 

 

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