Ein weltoffener und spannender Marktplatz

Abschlussbericht zur 10. Tanzplattform Deutschland

Dresden, 29/02/2012

Sie steht ganz einfach da, im schwarzen Rock und weißem Langarmshirt, das Falten wirft. Die nackten Füße stehen in der ersten Position auswärts, und sie schaut das Publikum an. Offen, mit Hingabe, so scheinbar ganz ohne Spiel oder vielmehr: so echt im Spiel. Das hat man zuletzt nicht oft auf der Tanzbühne gesehen, wo man so viele gesetzte Blicke erlebt, die alltäglich tun, harmlos, oder ausdruckslos ins Leere zielen. Laurent Chétouane heißt der Shootingstar, der längst keiner mehr ist, dafür zählt er in Europa längst zu den begehrten Regisseuren.

Mit der Choreografie begann der studierte Ingenieur jedoch erst vor fünf Jahren. Was er im Tanz suchte, zeigt dieses Stück „Horizon(s)“ aus dem Jahr 2011. Dort lässt er tanzen wie er seine Tänzerin stehen lässt: in Bewegungen, die jeder halbwegs gesunde Mensch ausführen kann, einem Tempo, wie man sich normal zu Hause auch bewegt und mit Körpern wie Gott sie geschaffen hat: den einen etwas füllig, den anderen hager, den dritten hängend. Nur die Haltung und vor allem der Einsatz des Fokus sind anders. Offen, wach, präsent und durchlässig gegenüber dem Publikum wirken Chétouanes Tänzer, ohne dass ein Mehr an Bedeutung oder Ausdruck hinzukommt. Auswahl und Einsatz der Gesten ist exakt austariert: Es sind jene, die Verletzlichkeit und die unbedingte Notwendigkeit von Vertrauen anzeigen, die großen Gesten des Gebens, Verlangens, Erwartens, Brauchens, ohne expressiven Druck eingesetzt, aber auch ohne Nüchternheit. Es klingt pathetisch, aber hier ist Tanz dran am Menschsein. Tanz erscheint wieder, anknüpfend an die Ideen der Pioniere der Tanzmoderne, als ganzheitliche Darstellung des homo sapiens ludens.

Es sind solche Schätze aus dem aktuellen zeitgenössischen deutschen Tanzgeschehen, die die zehnte Tanzplattform Deutschland, die jetzt in Dresden zu Ende gegangen ist, gehoben hat. Drei weitere: Christoph Winklers packendes Tanzdrama „Baader – Choreografie einer Radikalisierung“ und Mailou Airaudos Werk „Irgendwo“ für das ungewöhnliche Ensemble Renegade, das Zeitgenössischen Tanz und HipHop mischt. Außerdem Anna Konjetzkys nahe gehendes Künstlerinnenbekenntnis „Abdrücke“, in dem Sahra Huby zwanzig Minuten lang in einem verspiegelten und gedeckelten Glaskasten auf Blätter zeichnet, sie durch Schlitze schiebt, wo sie dem Betrachter wie Botschaften einer Seele, die gesehen werden will und aus dem Gefängnis des Körpers doch nicht raus kann, vor die Füße segeln.

Alle drei integrieren ein Tanzverständnis, das sich über die Kommunikationsmedien eines empfindenden Körpers, einer sprechenden Bewegungsphrase und einer Sinn stiftenden Choreografie einstellt. Die Aufführungen ihrer Werke lässt den längst beiseite geschobenen Gedanken aufkommen, dass es vielleicht doch noch so was wie ein unzersplittertes Subjekt im Tanz gibt. Und dass Konzepte, wie sie beispielsweise von Antonia Baehr, die mit ihrer Mikrochoreografie „For Faces“ dabei war, vom Choreografenkollektiv Ioannis Mandafounis, Fabrice Mazliah und May Zarhy, die „Cover Up“ präsentierten, oder auch vom Bewegungsforscher Sebastian Matthias entwickelt werden, ihren Reiz daraus gewinnen, dass sie die Grenzen von Tanz erarbeiten und sichtbar machen.

Es sind solche Gedankengänge, die die jetzt zu Ende gegangene Tanzplattform Deutschland induziert hat. Insgesamt liefen zehn Produktionen bei dem wichtigsten Treff der Szene an vier Tagen über die Bühne, zehn weitere Choreografen stellten ihre Arbeit in einem Pitching vor, alles insgesamt begleitet vom mal lauten, mal leisen Reden und Raunen darüber, welchen Sinn und Zweck die Tanzplattform eigentlich hat. Ist sie ein künstlerisches Festival? Mitnichten. Eher ein Best Off, wie Jurorin Carmen Mehnert meint. Das aber war die Tanzplattform auch nicht, weil die Netzwerke zwischen München, Hamburg und Berlin es auch diesmal zu einer beschämenden Unterrepräsentation von Choreografen aus Deutschlands Süden haben kommen lassen. Darüber zeigten sie sich unsicher darin, wie sie die choreografisch für den Zeitgenössischen Tanz spannenden Grenzgänger an den Stadt- und Staatstheatern in die eigene Veranstaltung hinein kuratieren sollten.

Die Tanzplattform Deutschland zeigte sich also mal wieder vor allem als ein weltoffener und spannender Marktplatz für internationale Tanzkunstkäufer und Begegnungen unter sich. Angereist waren über 450 Veranstalter aus der ganzen Welt, sahen sich um, sprachen die eine und andere Einladung für die allesamt tourneetauglichen Stücke aus und entschieden auf diese Weise bei den meisten über den nächsten Bedeutungszuwachs. Hinter den Türen tagten die nationalen und internationalen Tanznetzwerke, unter anderem der Dachverband Tanz Deutschland, allesamt Leute, die sich in Deutschland seit Jahrzehnten um das Feld des zeitgenössischen Tanzes kümmern, es für seine Akteure, sprich − Choreografen, Performer, Tänzer − bestellen und dabei auch selbst jemand geworden sind.

Was können wir besser machen, fragten die Veranstalter, unter anderem der künstlerische Leiter von „Hellerau“ Dieter Jaenicke und Betram Müller, Leiter des Tanzhauses NRW in Düsseldorf, das Publikum zum Schluss der Tanzplattform? Die Antworten kamen schnell: Vorsicht beim Vergeben von Wild Cards für Blockbuster wie William Forsythe, Meg Stuart, Constanza Macras und Sasha Waltz, das ging bei letzteren leicht bis ziemlich schief, vor allem bei Waltz: Ihre Performance war ungünstigerweise direkt vor Forsythes Premiere mit dem Ballett der Semperoper terminiert, so dass die Leute in Scharen wegliefen, um pünktlich in der Semperoper zu sitzen, und dies leider zum Teil erleichtert, weil ihr Konzept, ihre Museumsarbeiten im Kontext der Stadttheatersituation neu zu formulieren, nicht aufging. Umso ernster sollte man die weiteren Publikumswünsche nehmen, noch mehr Choreografen in das Pitching aufzunehmen und die regionalen Tanzszenen stärker zu berücksichtigen.

Die Tanzplattform Deutschland muss ein Leuchtturmprojekt werden, ähnlich wie das Berliner Theatertreffen und mit einer daran orientierten finanziellen Ausstattung, hatte Bertram Müller zwei Tage zuvor im Rahmen einer öffentlichen Diskussionsrunde gefordert. Noch stehen die Dinge unverbunden nebeneinander – man wird sehen, ob Amelie Deuflhard, die die nächste Tanzplattform 2014 in Hamburg ausrichten darf, die Bälle einfängt.

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