Was ist los mit dem deutschen Tanzjournalismus?

Ein paar irritierende Vorfälle

oe
Stuttgart, 28/01/2008

Vielleicht bin ich ja übertrieben informationsbedürftig – andere Leute mögen das pressegeil nennen. Ich kann jedenfalls nicht genug Zeitungen und Zeitschriften lesen – gerade auch was andere Kollegen über bestimmte Ereignisse zu berichten haben – inklusive solche mit konträren Ansichten. Darum fühle ich mich auch im tanznetz so wohl – so toll betreut von den bajuwarisch-schwäbischen tanznetz-Sisters, bei denen ich immer den Eindruck habe, dass sie permanent am Bildschirm oder Telefon sitzen, um die neuesten News sofort online zu stellen (meist noch vor den anderen Medien).

Ich bin mir auch darüber im Klaren, wie schwer es die freischaffenden Kollegen heutzutage haben, Nachrichten über Tanzereignisse überhaupt zu publizieren – wie sehr sie in den Redaktionen um den benötigten Platz zu kämpfen haben. Trotzdem frage ich mich zunehmend, ob sie es mit der notwendigen Entschlossenheit tun – ja, ob sie überhaupt selbst entsprechend informiert sind. Drei Fälle in der jüngsten Vergangenheit haben mir da doch sehr zu denken gegeben. Der erste betraf den achtzigsten Geburtstag von Erich Walter am 30. Dezember vergangenen Jahres. Ich hatte rechtzeitig in diversen Betrachtungen des großen Choreografen-Jahrgangs 1927 (Béjart, Grigorowitsch, Cranko, Smok und eben Walter) darauf hingewiesen. Er ist schlicht ignoriert worden! Kein Wort in den Wuppertaler, Düsseldorfer oder Duisburger Zeitungen (jedenfalls keins, das mir bekannt geworden wäre). Noch trauriger fand ich, dass keine unserer Tanzzeitschriften darauf hingewiesen hat. Für mich war er immerhin einer der wichtigsten Pioniere des deutschen Nachkriegsballetts. Nur für mich?

Zweitens die Verleihung des Kulturpreises der Adenauer-Stiftung an Birgit Keil als erster Persönlichkeit des Tanzes in der Berliner Akademie der Künste. Ein hoch offiziöser Akt, mit viel Prominenz und öffentlichem Getöse. Auch darüber kein Wort – außer der Vorankündigung – in den Medien, wenn ich recht orientiert bin, nicht einmal in den in Karlsruhe erscheinenden „Badischen Neuesten Nachrichten“.

Drittens die totale Funkstille anlässlich des achtzigsten Geburtstags von Tom Schilling – abgesehen von der eher überraschenden Gratulation in der „Stuttgarter Zeitung“ (überraschend, weil sie nicht einmal erwähnte, dass es eine herzliche Freundschaft zwischen Schilling und John Cranko gab – aber vielleicht wusste sie ja nicht einmal davon, wie denn auch längst in Vergessenheit geraten ist, dass auf Einladung von Schilling Crankos „Jeu de cartes“ ins Repertoire des Tanztheaterensembles der Komischen Oper in Ostberlin übernommen wurde) – und abgesehen von der sehr schönen Würdigung von Schilling durch den immer wachsamen Volkmar Draeger im „Neuen Deutschland“.

Wieder so eine entgangene Gelegenheit, eins der wichtigsten Kapitel der Geschichte des Tanzes in der DDR aufzuarbeiten (Es erscheint mir nachgerade als ein Skandal, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema – im Gegensatz zu Schauspiel, Oper und Film – bisher verdrängt wurde.). Ich möchte keinem der Kollegen einen Vorwurf machen, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihr Interesse an der Geschichte des deutschen Tanzes (nicht nur des Tanzes in der DDR) einigermaßen zu wünschen übriglässt.

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