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Zum Abschluss der Tanzplattform in Berlin

Am Sonntag ist die Tanzplattform 2022 zu Ende gegangen. Auf künstlerischer Ebene konnte sie überzeugen. Die Gastgeberrolle des Festivals muss nach der Pandemie erst wieder eingeübt werden.

Berlin, 21/03/2022

Fast hätte man vergessen können, dass man sich inmitten täglicher Inzidenzrekorde befindet angesichts voller Zuschauerränge und eines enthusiastischen Tanzpublikums. Leider sind nun aber doch zwei ausgewählte Produktionen der Tanzplattform 2022 der Pandemie zum Opfer gefallen. Nach Ligia Lewis‘ „Still not Still“ musste am letzten Festivaltag nun auch Alexander Millers und Maria Chiara de’Nobilis „Pack“ abgesagt werden. Am Samstag noch hatten sie das Publikum im HAU 2 mit einer krankheitsbedingt zeitlich und personell abgespeckten Version ihres energetischen und hochvirtuosen Abends mit Urban-, Breaking- und Contemporary-Ästhetik begeistert; am Sonntag konnten sie leider nicht mal mehr diese Ausschnitte zeigen. Das ist insbesondere deshalb schade, da „Pack“ als eine der am feinsten choreografierten Arbeiten in der Auswahl der Tanzplattform 2022 bestach, unter deren beeindruckender tänzerischen Hülle sich vielschichtige Bilder zwischen Zärtlichkeit und Gewalt, physischer Stärke und Zerbrechlichkeit offenbaren. (mehr dazu in unserem Bericht vom 24.09.2021

Sehr viel ruhiger und zurückgenommener präsentiert sich das intime mixed-abled-Duo von Renae Shadler und Roland Walter mit dem Titel „Skin“. Im spärlich beleuchteten Bühnenraum der Halle Tanzbühne erforschen sie verschiedene Zustände der Berührung, erkunden die Körper der*s jeweils anderen, spüren dem Gefühl von Wasser oder Stoffen auf der Haut nach, erschaffen mit Rollbrettern und Schlafsäcken Bilder und Figuren und erzeugen durch Heben und Getragenwerden zärtliche Bewegung, wo eigentlich keine möglich ist. Das ist alles wunderschön, bleibt aber doch sehr ruhig und brav und hinterlässt letztlich den Wunsch nach einer gewissen Steigerung der Intensität. 

Überhaupt fiel an der Auswahl der Produktionen auf, dass die Pandemie zwar einerseits eher kleine Produktionen mit Solos, Duos und Trios bedingte, auf der anderen Seite aber ästhetisch auf den immensen Wandel und das Ausweichen aufs Digitale kaum Bezug genommen wurde. Einzig der singapurische Choreograf Choy Ka Fai kreierte in seiner Produktion „Yishun is Burning“ ein multimediales Setting aus Live-Performance, Musik-Livestream und Videoaufzeichnungen. Gemeinsam mit dem thai-norwegischen Voguer Amazon Sun besuchte er im singapurischen Vorort Yishun hybrid-religiöse Rituale, um in Austausch über Erfahrungen innerhalb der eigenen Subkultur zu treten. Was sich daraus entwickelte, ist ein spannender und hochaktueller 60-minütiger Abend als Bühnenperformance mit der live zugeschalteten Band NADA aus Singapur. Statt eines Sprechens über andere lässt Choy Ka Fai Insider der Subkulturen selbst sprechen, eine Schamanin über religiöse Rituale, Amazon Sun über die Ballroom- und Voguingszene. In Zeiten, in denen völlig zurecht zunehmend Kritik an Praktiken kultureller Aneignung genommen wird, vollzieht sich in „Yishun is Burning“ ein einvernehmlicher kultureller Austausch, wodurch sich dessen produktives Potenzial offenbart. Gemeinsamkeiten in scheinbar weit voneinander entfernten Praktiken werden ausgelotet, bis am Ende Amazon Sun und die Projektion einer hinduistischen Gottheit Bewegungsmuster der jeweils anderen Kultur übernehmen und in eine neue, hybride Bewegungssprache übersetzen. Das Konstrukt aus Interviews, dokumentarischen Videos und dem Anreißen von Bewegungen aus Ritual und Ballroom entlädt sich ganz zum Schluss in einer regelrechten Voguing-Party zu einer Neuinterpretation von Cascadas „Everytime we touch“ durch die live zugeschaltete Band aus Singapur.

Es sind energetische, tänzerische Momente wie diese, ebenso wie Millers / de’Nobilis „Pack“ und Moritz Ostruschnjaks „Tanzanweisungen“, die aus dem ansonsten doch sehr zurückgenommenen und konzeptionellen Programm hervorstechen. Nun ist sie zu Ende gegangen, die Tanzplattform 2022, die in so vielerlei Hinsicht ein Wiedererwachen bedeutete: vor allem ein Wiedererwachen des Zusammenkommens, um den Tanz zu feiern. Vor gut zwei Jahren endete die Tanzplattform 2020 am 8. März, bevor angesichts der ersten Welle der Corona-Pandemie alle Theater geschlossen wurden. Dass ein internationales Festival in ausverkauften Theaterhäusern nun endlich wieder möglich war, bot die einmalige Chance, den Hunger nach dem Tanz, aber auch den Hunger nach Nähe, Dialog und Feiern zu stillen.

Schade nur, dass die Organisator*innen der Tanzplattform das Fest im Wort „Festival“ nicht sonderlich großgeschrieben haben. Was möglich gewesen wäre, zeigten sie noch nach der Eröffnung der Plattform mit Moritz Ostruschnjaks „Tanzanweisungen“ im Deutschen Theater: gemütliches und pandemiefreundliches Gathering mit Sektempfang und Häppchen auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters. Die darauffolgenden Tage aber war das Organisator*innen-Team an den Spielstätten kaum präsent. Die Besucher*innen vermissten die gute Betreuung, die nicht nur in München 2020 so fantastisch aufgefallen war. Wir brauchen wieder Shuttles, um die Besucher*innen zwischen den weit voneinander entfernten Spielstätten zu transportieren (das geht auch während der Pandemie mit bestellten Taxis, Rädern oder Guides für den Nahverkehr) und Mitarbeiter*innen der Plattform, die zu jeder Zeit Orientierungs- und Informationshilfen anbieten. Foodtrucks vor den Spielstätten würden helfen, um sich zwischen den dicht getakteten Vorstellungsterminen stärken zu können, statt die Kolleg*innen mehr oder weniger zufällig in Bahnhofsschnellimbissen zu treffen. Wichtig wäre Präsenz des Presseteams an Pressetischen, um Professionals auch noch kurzfristig den Zugang zu Vorstellungen zu ermöglichen und auch die letzten, zumeist wohl coronabedingt freigebliebenen Plätze mit Interessierten zu füllen. 

Die Tanzplattform 2024 wird erstmalig in Freiburg durch das Team um Adriana Almeida Pees ausgetragen. Die diesjährige Auswahl macht jetzt schon gespannt auf die Entwicklungen der zeitgenössischen deutschen Tanzszene in den kommenden zwei Jahren. Hoffentlich stellt sich dann auch wieder eine serviceorientierte, persönliche und feierliche Atmosphäre, kurz: eine Festivalatmosphäre ein. 
 

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