Wenn Sie mal schauen möchten ...

Zwei Jahre lang gab es für Dresden aus dem Tanzpakt-Programm in Hellerau Residenzen. Die Ergebnisse können derzeit unter dem Motto „Dancing About“ genossen werden.

Ein ironisch-bissiger Kommentar zur Oberflächlichkeit der Konsumgesellschaft und intensive Emotionalität „in the hood“: Caroline Beach und Maria Chiara de’Nobili / Alexander Miller zeigen im Festspielhaus Hellerau, dass Corona niemandem den Stecker gezogen hat.

Dresden, 24/09/2021
Inzwischen ist klar geworden, dass sich Choreograf*innen und Tänzer*innen während des Lockdowns nicht nur gegenseitig die Füße massiert haben. In Dresden hat das so ausgesehen, dass schon seit 2019 freischaffende Künstler*innen am „Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste“ und in der Villa Wigman, der ehemaligen Tanzschule der Grand Dame des deutschen Ausdruckstanzes, an ganz unterschiedlichen Projekten gewerkelt haben. Grundlage waren künstlerische Residenzen im Rahmen des Tanzpakt-Förderprogramms des Dachverbands. Alle Beteiligten strickten sich dafür Kooperationen mit Einrichtungen und Unternehmen vor Ort. Sei es eine Bibliothek, die Sächsische Dampfschifffahrt oder der Botanische Garten der TU: Inspiration, Austausch, neue Sichtweisen. Für beide Seiten, by the way. Was dabei herausgekommen ist, lässt sich gerade anlässlich des Festivals „Dancing About“ in beiden Häusern kritisch ins Auge nehmen. Vielleicht könnte man dabei sogar das Wagnis eingehen, zu vermuten, der Zufall einer hässlichen weltweiten Pandemie habe da der Kreativität einen ordentlichen Tritt in den Hintern gegeben. Zweifelsfrei führte jede Arbeit ganz woanders hin, als irgendjemand vermutet hätte.

Im Fall von Caroline Beach, die einen MA in Choreografie von der Palucca-Schule im Ärmel hat, verwundert das Schräge, das Absurde ihres bemerkenswerten Trips „Sailor on Aisle 5“ aber überhaupt nicht. In dieser Richtung war sie schon vor Corona unterwegs. „Aisle“ ist hier der Gang zwischen den Regalen, der auf so übersichtliche wie kaltschnäuzige Weise einen jeden Supermarkt strukturiert. Und damit sind wir schon mittendrin: An der Wand finden sich Projektionen einer unübersichtlichen Masse US-amerikanischer TV-Werbespots, in so schöner wie ästhetisch befremdlicher 1980er-Jahre-Ästhetik. Und da ist sie auch schon, die thematische Metaebene, die Diskursivität. Fünf Performer*innen stecken in Kostümen, deren Design uns ganz subtil vermittelt wissen lässt: „Life in plastic / it’s phantastic.“ Oder so. Ernst nehmen sollte man das nur bedingt. Denn jede/r Besucher*in hat eine Non-Shopping-List bekommen. „No fucking washing up liquid / No sunshine / No currywurst“. Eine ganze DIN A4-Seite ist mit dem (nicht) zu besorgenden Zeugs vollgepackt. Bitter und böse und bitterböse. Entsprechend gut kommt das an. Denn genau in diesem Kontext darf das Publikum Zeuge einer Collage werden, die bewusst maschinenartig daherkommt, den Menschen zur vergleichbaren und damit austauschbaren Ware und das Dauer-Piepsen einer Scanner-Kasse zum Symbol einer hohlen Dysfunktionalität in uns selbst macht. Das Bewegungsvokabular ist dabei entsprechend ironisch leichtfüßig angesetzt, albern, überzogen, aber trotzdem ganz klar in der Aussage.

Was aber will der Seemann aus dem Titel? Ganz einfach. Er gilt als Sinnbild der Freiheit, der Ungebundenheit. Für diejenigen, die bis über die Ohren in der Konsumgesellschaft stecken, ist das ein unerreichbares Ideal. Für all jene bleiben hier nur Versatzstücke alter Pop-Songs, Gruppenzwang, Oberflächlichkeit. Alles ist falsch. Nichts ist echt. Alle Bewegungsansätze wirken ausgestellt, aufgesetzt und schlussendlich bewusst hilflos. Eigentlich ist es bitter, dass man darüber lacht. Aber was soll man machen? Authentizität gibt’s hier halt nicht. Alles und jeder tritt auf der Stelle. Da wird Luftpolsterfolie in einer gekünstelten Prozession mit Bedeutung aufgeladen, dass es eine ironische Wonne hat. Da wird in der Gruppe einem beliebigen Produkt gehuldigt, als hätte die uralte Formulierung vom Konsum als Ersatzreligion heute noch Relevanz. Inhaltlich ist das dankbar erschütternd und damit absolut wirksam.

Und am Ende, also, wenn man glaubt, das wäre das Ende, fängt alles noch mal von vorne an. Das gesamte Stück wird innerhalb von gefühlt zwei Minuten entlang einiger Meilensteine noch mal flugs durchgetastet, durchgehastet. Weil das alles so hohl ist, kann das ja kein Ende finden. Genau dadurch ist es eine richtig runde Sache. Schließlich mag es das Theaterpublikum, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen.

Dessen sind sich auch Maria Chiara de’Nobili und Alexander „Kelox“ Miller bewusst, die mit ihrer Arbeit „Pack“ ganz weit und ganz tief in die Variablen menschlicher Emotionen gehen. Auch diese beiden Choreograf*innen (und Tänzer*innen) haben ihr Handwerk an der Palucca-Schule ausgebaut. Und zwar auf äußerst erfolgreiche Weise. Miller kommt aus der Breaking-Richtung; de’Nobili findet man am sichtbarsten in der contemporary-Schiene. Zusammengenommen haben sie sowohl die Tanzbiennale Venedig wie auch den Scapino-Produktionspreis der International Choreographic Competition Hannover auf dem Heft. Hingucken lohnt sich hier also unbedingt.

Was die beiden auf der komplett leeren Bühne des Festspielhauses Hellerau unter unspektakulärem (aber gelungenem) Licht und mit genau so reduzierten (und genau deshalb funktionierenden) Kostümen fabrizieren, ist ein beeindruckend selbstbewusstes Kaleidoskop an Szenen, die menschliches Miteinander kaum anrührender unter die Haut des geneigten Publikums schieben könnten. Da fragt man sich, ob Begriffe wie „lässig“ oder „federleicht“ eigentlich überhaupt noch tragbar oder nicht doch schon zu abgelatscht sind.
Sechs Performer kommen da völlig entspannt zusammen, Varianten möglichen Corona-Grußes flutschen sofort mühe- und reibungslos in den Bereich des Breaking, als wäre die Pandemie irgendwann mal ein kleines Kapitel gewesen, als wäre das schon Vergangenheit und Teil unser aller Gedächtnis. Schon dieser Einstieg beeindruckt mit seiner Unbekümmertheit, besonders, weil ganz klar sichtbar ist, dass alles und jede/r unbedingt ernst genommen wird. Alle Sorgen, alle Ängste.

Genau dieses Unbekümmerte, Unbeschwerte macht den Grundton aus. Breaker haben ja immer diese große-Jungs-Ausstrahlung, „the hood“, BFF. Durch diesen Sympathiebonus kauft man denen halt alles ab. Breites Grinsen, breite Beine. Ist doch eh nur alles Geste, Mittel zum Zweck. Für die Aussage. Und die geht richtig bis ins Mark. Dieses Sechser-Pack gönnt sich den gesamten Raum (wörtlich und figurativ), um Zuneigung zu zeigen, Streit, Konkurrenz und geht weiter, sehr viel weiter, bis hin zu Scham, Verletzung und selbst Tod. Bei allen Ausbrüchen ist klar: Ohne das Miteinander ist nichts machbar. Gar nichts. Wäre das ein Ort, dort würde man verweilen wollen. Als Moment würde man ihn anhalten wollen, eingedenk der Tatsache, dass auch dort vieles weh tut.
Deutliche Einflüsse des physical theatre lassen daran keinen Zweifel. Die daraus entstehenden Dynamiken bewegen sich komplett unaufgeregt zwischen „Guck mal, was ich kann!“ und so intensiven wie empfindsamen Momenten, die, mit Blick auf unsere heteronormativ geprägte Gesellschaft, von (heterosexuellen) Männern für gewöhnlich so nicht öffentlich gelebt werden. Darin lässt sich eine immense Verletzbarkeit lesen, die desto authentischer wirkt.

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