Auf Leben und Tod

Joachim Schlömer und Graham Smith tanzen „Speed“ in Freiburg (und Heidelberg)

Freiburg, 18/11/2007

Unter PVC versteht man gemeinhin einen Kunststoff, aus dem man Bodenplatten für Küchen und Bäder fertigt. An den Theatern von Freiburg und Heidelberg schreiben sie pvc klein, verstehen es als Abkürzung für „physical virus collective“ und meinen damit ihre kleine, feine Interessengemeinschaft in Sachen Tanz, die viele kleine Tanzshows – etwa auch für Laien oder Tangoliebhaber – produziert und untereinander austauscht: fürs erste mindestens ein Modell, das sich zu bewähren scheint. Als „Kurator“ – was wohl meint: geistigen Anreger – für pvc hat man in Freiburg und Heidelberg immerhin einen der größeren Namen des deutschen Tanztheaters gewonnen: den mittlerweile 45-jährigen Joachim Schlömer. Und wenn Schlömer nicht gerade irgendwo den „Tristan“ oder „Die Trojaner“ inszeniert, tanzt er sogar selbst in beiden Städten: in diesem November, zusammen mit seinem Partner, dem Amerikaner Graham Smith, in dem von beiden gemeinsam choreographierten Zwei-Personen-Stück „Speed“, das ursprünglich für ein portugiesisches Festival entstanden ist. Schlömer und Smith machen mit ihm zunächst im Kleinen Haus des Freiburger Theaters Station und transportieren es am Monatsende nach Heidelberg, um dann noch einmal mit ihm nach Freiburg zurückzukehren.

Auf Musik verzichten Schlömer und Smith völlig. Begleitet nur von den Geräuschen, die sie beim Tanzen machen: ihren stampfenden Schritten und ihrem immer angestrengter werdenden Keuchen, tanzen die beiden Männer etwa 45 Minuten lang wie um Leben und Tod. Sie tragen punkige Klamotten, deren sie sich zum Ende hin entledigen, und im ersten Stückdrittel verlaufen ihre erdenschweren, ernsthaften Bewegungen, der etwas schwerere, ältere Tänzer – Schlömer – immer ein wenig näher zum Publikum, sowohl synchron als auch parallel. Im zweiten bewegen sie sich immer noch synchron, nun aber spiegelverkehrt zueinander. Im dritten erst driften sie auseinander und jeder betreibt sein eigenes Ding. Hin und wieder benötigen die beiden Erholungspausen; dann ruhen sie, für kurze Zeit, auf dem Boden liegend aus.

Zu Beginn zitieren die beiden, im hinteren rechten Eck der Tanzfläche stehend, einen Text in englischer Sprache, der von Verlorenheit und Unbehaustsein handelt. Den Kernsatz dieses Textes schreibt Smith im Finale, mehrfach und krakelig, mit Kreide auf die Rückwand: „Speed is like a wounded dog that keeps running until it falls over“. Die beiden brechen aber weder zusammen noch auseinander, sondern flüchten sich in ästhetische Spielereien. Solange sie tanzen, ist „Speed“ ein spannendes, aufregendes Stück. Doch ganz am Ende, wenn die beiden mit kleinen Kinderkreiseln und Kinderautos spielen und in runden Lichtspots die Rückenansichten ihrer nackten Körper zur Schau stellen, wird es geschmäcklerisch. Es gehört zu den schwierigsten theatralischen Aufgaben, ein Stück ohne konkrete Handlung, wie es „Speed“ nun einmal ist, einleuchtend zu beenden. Schlömer und Smith haben diese Aufgabe in „Speed“ nicht gelöst.

Links: www.theaterheidelberg.de / www. theaterfreiburg.de / www.joachimschloemer.com

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