„Der Tod und das Mädchen“ - ein Tanz Macabre mit der SCHOOL OF LIFE AND DANCE

„Ich entdecke immer etwas Neues!“

Graham Smith im Interview über seine Produktion „Der Tod und das Mädchen“

Der Leiter der School of Life and Dance spricht über die Arbeit in einem generationsübergreifenden Ensemble, partizipative Formate trotz Kontaktbeschränkungen und darüber, was ihn an einem Stück wie „Der Tod und das Mädchen“ begeistert.

Freiburg, 18/07/2022

von Pauline Michel

Anfang Juli wurde „Der Tod und das Mädchen“ das letzte Mal in dieser Spielzeit am Theater Freiburg gezeigt. Es ist ein Totentanz, gezeigt von 49 Darsteller*innen der School of Life and Dance – einem partizipativen und generationenübergreifenden Ensemble unter der Leitung von Graham Smith und Maria Pires. Menschen zwischen 7 und über 70 Jahren stehen gemeinsam auf der sich immerwährend drehenden Bühne des großen Hauses in Freiburg. Sie zeigen ein Stück, was mal tragisch, mal grotesk oder beinahe humorvoll wirkt und einem beim Zuschauen immer mehr Perspektiven auf den Tod und Facetten des Lebens offenbart. Graham Smith, Choreograph und Leiter der School of Life and Dance, spricht im Interview über die Arbeit in einem generationsübergreifenden Ensemble, über partizipative Formate trotz Kontaktbeschränkungen und darüber, was ihn an einem Stück wie „Der Tod und das Mädchen“ begeistert.

 

Graham, im Programmheft wird „Der Tod und das Mädchen“ als Danse Macabre beschrieben. Wie kamst du dazu mit der Idee, eines Totentanzes zu arbeiten?

Die Idee kam mir schon eineinhalb Jahre vor der Premiere. Wie das am Stadttheater eben ist, dass Stücke weit im Voraus geplant werden müssen. Es war mitten im Lockdown und ich war empört über die steigenden Suizidraten von Jugendlichen. Da hätten wir als Gesellschaft wirklich mehr machen müssen. Auch deshalb wollte ich mich mit dem Thema des Todes beschäftigen und unserem Umgang damit.
Danse Macabre ist eigentlich ein super alter Begriff. Er kommt aus dem Mittelalter und kam immer wieder vor. Die Idee ist, dass wir alle sterben werden – egal ob König oder Bauer sozusagen. Und genau diese Unvermeidlichkeit, dass der Tod kommt, da war immer eine Botschaft darin. So wollte ich das Stück inszenieren, in einem Tempo, dass man das Gefühl hat, es lässt sich nicht stoppen und die Welt dreht sich unaufhörlich weiter, und auch um zusagen, das wir echt leben sollten und die Zeit nutzen, die wir haben.
Das Sterben wird in dem Stück aber eigentlich nicht dargestellt. Die Darstellung vom Tod ist eher implizit. Meistens aus der Perspektive der Angehörigen: sei es jemand bekommt einen Brief und ist geschockt und stürzt, am Esstisch sitzend, auf den Truthahn, der in der Mitte steht. Es sind Reaktionen auf den Tod, durch eine andere Linse gesehen. Es gibt also keinen Mord auf der Bühne, nur den einen dramatischen Moment: „Der Tod und das kleine Mädchen“ stehen oben auf dem Stahlgerüst und Blätter werden aufgewirbelt. Der Tod hebt das Mädchen hoch und lässt es durch seine Arme auf den Boden gleiten. Das ist vielleicht die einzige Szene.

Die School of Life and Dance ist ja ein generationenübergreifendes Ensemble. In „Der Tod und das Mädchen“ stehen Menschen zwischen sieben Jahren und über 70 gemeinsam auf der Bühne. War deren Umgang mit dem Thema Tod unterschiedlich?

Mit dem Thema Tod? Ja, total. Die kleinsten kamen mit den absurdesten, groteskesten, zum Teil härtesten Vorstellungen, mit Humor. Sie haben versucht, sich die gruseligsten Situationen auszudenken. Das kennen sie – dieses Bild von zermahlenden Knochen. Einer meinte zu mir: „ich würde so gerne Knochen mahlen“ und sagte dann dabei: „Ich weiß, das landet im Gummibärchen, aber ich kanns nicht lassen. Gummibärchen, Gummibärchen!“
Und die Teens, mit ihnen hatte ich lange Diskussionen darüber, ob wir eine Triggerwarnung für den Abend machen sollen, weil es doch ganz viele Szenen gibt, die ganz schön heftig sind, die beispielsweise auf Selbstmord verweisen. Das kann etwas triggern. Wir haben echt lange darüber geredet und kamen zu dem Schluss, dass der Ankündigungstext eigentlich schon viel sagt und auch die Altersbeschränkung 12+ ein Zeichen ist, dass es ein Danse Macabre ist.
Und dann wiederum die Goldies, die älteste Gruppe der School of Life and Dance. Viele haben selbst mehr Erfahrungen mit dem Thema Tod, es gibt welche, deren Partner*innen im Pflegeheim sind, oder die selbst schon eine längere Zeit im Krankenhaus waren. Dann ist das Thema Tod natürlich viel näher als in anderen Gruppen.
Einige andere haben auch beruflich mit dem Thema zu tun. Manche arbeiten in Pflegeberufen. Zwei von ihnen auch in einer Psychiatrie. Sie erzählen manchmal, nichts Spezifisches, aber wie krass ihr Tag war. Und diese professionelle Distanz, die sie sich aufgebaut haben, gegenüber den persönlichen Tragödien, die sie mitbekommen, die wollte ich auch abbilden.

„Der Tod und das Mädchen“ - ein Tanz Macabre mit der SCHOOL OF LIFE AND DANCE

Im Verlauf des Stückes merkt man auch, wie sich die Stimmung ändert und die Perspektive auf Tod.

Genau, ab der zweiten Hälfte gibt es einen dramaturgischen Umschwung, wo es einfach grotesk wird. „Der kleine Tod“ – als kleines Mädchen – fängt an zu tanzen und was folgt, ist eigentlich eine Befreiung von unseren Todesängsten. Dieser Umschwung hat, glaube ich, allen gut getan, auch um dann einen leichteren Zugang zu dem Thema und dem Stück zu finden. In dem Teil gibt es eine Szene zu Tom Waits „God’s away on Buisness“. Das war eines der ersten Dinge, die wir konkret geprobt haben – eine Choreo mit allen Gruppen, die unisono ist und recht komplex. Der Text von dem Tom Waits Lied ist so gut – eigentlich wollte ich es gerne im Programmheft haben.

Digging up the dead with a shovel and a pick
It’s a job, it’s a job
Bloody moon rising with a plague and a flood
Join the mob, join the mob
It‘s all over

Das ganze Lied ist so zynisch, aber so fühlte sich auch die Zeit an: Corona, Klimakrise und dann kam der Angriffskrieg auf die Ukraine. Es ist wirklich so als wäre Gott auf einer Geschäftsreise. Wie könnte er denn anwesend sein? Denn alles ist furchtbar. Der Refrain ist:

There’s a leak, there’s a leak in the boiler room
The poor, the lame, the blind
Who are the ones that we kept in charge?
Killers, thieves and lawyers
God’s away, God’s away
God’s away on business, business

Und wenn ich über Politiker nachdenke, da denke ich: „How are these the ones in charge?“ Putin, Trump, Bolsonaro und alle von ihnen. Diese Wut habe ich gesagt, sollen alle sammeln und genau während diesem Teil im Stück rauslassen.

Ihr musstet zum Teil auch während Lockdowns und starken Kontaktbeschränkungen proben. Gerade für ein großes und generationenübergreifendes Ensemble wie die School of Life and Dance ist das ja nicht einfach. Wie hast du da angefangen an dem Stück zu arbeiten?

Bevor wir überhaupt angefangen haben zu proben, haben Viva Schudt, die die ganze Ausstattung für das Stück gemacht hat, und ich tonnenweise Bilder gesammelt und uns quasi auf eine Bildwelt geeinigt. Wir haben die Bilder genommen und auf ein Padlet gestellt und im typischen Social Media Stil, habe ich alle gebeten, die Fotos durchzuschauen und zu kommentieren. Wir hatten ein Foto von drei Menschen mit Tiermasken, die nachts an einer Bushaltestelle stehen. Dazu wurde dann so etwas geschrieben, wie: „Hip-Hop Duo“/ „Wo ist unsere Vierte?“/ „Scotti, beam uns hoch!“ / „auf Bunny ist kein Verlass“. Oder ein Foto mit dem Auto, was letztlich auf der Bühne steht. Irgendwann hat jemand geschrieben: „Ey, ich könnte mir vorstellen darauf zu tanzen“. Daraus sind viele szenische Ideen entstanden. Das war noch im Lockdown.
Festgelegtes Bewegungsmaterial haben wir ganz wenig über Zoom geprobt. Über Zoom zu arbeiten, finde ich sehr schwer – allein schon wegen der Zeitverzögerungen. Aber Castings habe ich quasi über Zoom gemacht. Mir war klar, wer die Figur des ‚Tod‘ übernehmen kann. Und ganz konkrete Momente, die ich gesehen habe bei verschiedenen Improvisationsaufgaben, habe ich schnell notiert. Gleichzeitig sind das Bühnenbild und die Idee, die Bühne in unterschiedliche Räume zu teilen, entstanden, als wir uns noch über Zoom getroffen haben. Die Kacheln und der Blick in das Wohn- oder Schlafzimmer sind ja wie ein Fenster in das Leben von jemandem. Ich finde das richtig spannend.
Die Idee kam als wir zu der Musik von Schubert gearbeitet haben. Es waren drei Fenster. Alle waren in ihren Wohnzimmern und haben zu zweit in Duetten getanzt, nur eine Person war alleine mit ihrer Katze. Es war so großartig, diesen Film anzusehen, aber auch superschwierig. Ich kann mich nicht auf alles konzentrieren, sonst verliere ich alles. Ich muss meinen Blick erweitern, sodass ich mir mehrere Dinge gleichzeitig anschauen kann, und das war eine ganz große Inspiration für die ersten Überlegungen mit Viva. Dass wir mehrere Räume haben – intime Räume, drinnen, draußen, zuhause. Überall wo Tod stattfinden kann.

„Der Tod und das Mädchen“ - ein Tanz Macabre mit der SCHOOL OF LIFE AND DANCE

Das Stück ist ja sehr geprägt davon, dass so viele Szenen auf der Bühne stattfinden und sich überlappen, dass es unmöglich ist, allem zu folgen. Woher kommt das?

Es ist tatsächlich so und ich mag das. Beim Zuschauen wird man natürlich gelenkt vom Licht und der Position der Drehscheibe. Es passieren aber immer mindestens zwei bis vier Dinge gleichzeitig und ich liebe das, dass die Zuschauer sich entscheiden müssen, wo sie hingucken, und wissen, dass sie etwas verlieren. Oder sie gucken überall hin, aber können sich nicht vertiefen. Eventuell müssen sie sich irgendwann entscheiden, oder werden eingesaugt. Ich finde superspannend mitzubekommen, wer auf welche Szene anspringt.
Da gibt es eine Stelle, an der passiert so viel gleichzeitig: ein Duett, Kinder, die die Klippe runterspringen, das ganze Ensemble, das tanzt. Aber von all diesen Szenen hat jemand, selbst Mitte 20, das Wartezimmer, das im Hintergrund gezeigt wird, angesehen. Man sieht eine Reihe älterer Leute und eine jüngere Person und eine weitere kommt rein. Es gibt keinen Sitzplatz mehr und ein merkwürdiger Moment entsteht, wo sie in der Ecke steht; und dann kommt die Chefärztin rein und ruft die jüngste Person auf. Sie steht auf und geht da lang und alle die alten Leute gucken sie an und denken: „Häh, was ist da los?“.
Und es gibt so viel, was man in dem Moment sehen kann, aber die Person hat eigentlich nur diese Szene wahrgenommen und es hat ihn krass berührt. Er hat selbst einen Freund, der an Krebs erkrankt ist und in der Onkologie immer als einzig junger zwischen älteren Menschen warten muss. Er meinte, „Ja, genauso ist das bei ihm“ und musste weinen, als er die Szene sah. Ich denke, dass so viel drumherum passiert, bringt die Szene erst so stark hervor, wie einen Kristallisationspunkt. Es ist keine Strategie, eher das Ergebnis des Stücks.

Neben einigen fest einstudierten Bewegungsabschnitten, in denen sich alle gemeinsam und unisono auf der Drehscheibe bewegen, gibt es Szenen, die in ihrer Form viel freier wirken. Wie viel legst du in deiner Arbeit mit dem Ensemble fest und wie viel Freiraum lässt du aber auch?

Ich denke in meiner Arbeit und auch dem Stück ist es eine feine Mischung zwischen Co-Creation und den choreographischen Ideen, die ich mitbringe. Mir ist wichtig, dass bei SoLD Platz ist, dass alle auch ihr eigenes Material kreieren. Das üben wir, auch co-creative mit anderen zusammen zu arbeiten. Auch mit Leuten, mit denen man nicht so viel zu tun hat, oder die man auch weniger versteht. Ich schaffe mehr Räume und choreographiere nicht mehr so oft.
Mit den jüngsten Darsteller*innen im Stück beispielsweise gibt es Szenen, da sind sie sehr präsent und haben ganz klare Anweisungen. Aber die erste Hälfte zum Beispiel; da haben sie bloß die Anweisung, auf dem ganzen Bühnenbild Verstecken zu spielen – auf eine Weise, dass das Publikum sehen kann, dass sie Verstecken spielen. Ab und zu sieht man ein Kind, wie es mit dem Kopf um die Ecke guckt. Auf diese Weise können sie viel beobachten und genauer zu sehen, was wo auf der Bühne passiert und sich nicht darin zu verlieren. Und wenn ich das im Publikum merke – dass ich sehe, wie ein Kind in dem Moment zusieht, eröffnet es mir auf einmal die Möglichkeit, eine Szene über den Blick eines Kindes und mit einer gewissen Naivität zu sehen. Mir war wichtig, dass die Kinder auf der Bühne spielen und sie genügend Raum haben, nicht nur auf ihren Auftritt warten, sondern 50 Minuten lang auf der Bühne sein können und dabei konzentriert sein und spielen können.

„Der Tod und das Mädchen“ - ein Tanz Macabre mit der SCHOOL OF LIFE AND DANCE

Du sprachst mal davon, dass es als Choreograph deine Verantwortung sei, alle Darsteller*innen auch gut zu schützen. Was meinst du damit genau?

Ich finde, wenn man mit nicht-Professionellen arbeitet, eigentlich generell mit jedem, mit Kindern, Erwachsenen, Senioren, muss man immer einen Rahmen finden, um die Darsteller*innen zu schützen; dass es nicht zu biographisch wird, dass sie sich nicht so sehr preisgeben, dass es unangenehm wird für die Darsteller*innen selbst, oder auch die Zuschauer*innen. Oft finde ich es total unangemessen, wenn erlebte und oft auch traumatische Geschichten auf die Bühne gebracht werden und das total ungeschützt passiert. Vor allem auch in der Arbeit mit Geflüchteten, aber beispielsweise auch mit Schulklassen: wenn sie die schlimmsten Dinge erfahren haben und das 1:1 auf die Bühne gebracht wird, ohne einen schützenden Rahmen. Ich finde das geht gar nicht. Da werden die persönlichen Geschichten von Menschen in den Vordergrund gestellt – das ist Voyeurismus pur.
Bei „Der Tod und das Mädchen“ geben die Geschwindigkeit, die Bewegung der Drehbühne, die Komplexität der Erzählung, beziehungsweise der Szenenzusammenstellung einen guten Rahmen für alle Darsteller*innen, finde ich. Würde man ein Duett mit dem Thema Selbstmord 15 min einfach auf der Bühne sehen, ich glaube dann wären die Tänzer*innen nicht mehr geschützt. Das meine ich. Ich finde es hilft immer eine künstliche Situation zu schaffen, in welcher man etwas ausleben kann. Deshalb tendiere ich zu ganz großen Titeln, wie „Der Tod und das Mädchen“. Wenn man an C.G. Jung glaubt und ein kollektives Bewusstsein von Archetypen, dann glaube ich, gibt es Momente, wo alle einklinken, ohne dass es so extrem persönlich wird. 
Ich denke, dass alle sicher auf der Bühne stehen, hat etwas mit der Form zu tun – mit der Form des Spektakels, oder dem theatralen Rahmen. Man weiß nicht, was ist echt und was nicht.

Ganz zum Schluss: Was hat dich in dem ganzen Prozess am meisten begeistert?

Schwer zu sagen. Ich denke an zwei Sachen: Angesichts der extremen Vorbereitungsarbeit, die die Inszenierung brauchte, war es wichtig alle Darsteller*innen gut abzuholen und dem Stück flexible Form zu geben. Wie das geklappt hat, hat mich überrascht und begeistert.
Das zweite war, das Stück einfach anzuschauen als alle „moving-parts“ geklärt waren: Es einfach auf der Drehscheibe laufen zulassen und das erste Mal anzusehen. Dann waren die ganzen Ängste und Zweifel, die ich hatte, ob das Stück überhaupt funktioniert und so überhaupt möglich ist, auf einmal weg. Für mich ist das Stück hammer geil geworden. Auch bei dem noch so vielten Mal, dass ich es sehe, entdecke ich immer etwas Neues! 
 

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