Schmeiß die Kartoffel! Echa le papa!
Suzann Bustani: Die „Noche del Flamenco“ sind ein Magnet im Heilbronner Kulturleben
Es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet in Heidelberg eine Plattform für die zahlreichen auf den Straßen von Metropolen entstandenen urbanen Tanzstilen entsteht. Breakdance etwa zählt zur Subkultur des Hip Hop, der von jungen Bewohnern der New Yorker Ghettos Anfang der 1970er Jahre auf den Straßen getanzt wurde. Ein Jahrzehnt später wurde dann in Heidelberg der Hip Hop in Deutschland vorangetrieben. Advanced Chemistry (AC) nannte sich die Gruppe, die heute zu den Pionieren des Hip Hop in Deutschland zählt und von fünf jungen Männern 1987 in Heidelberg gegründet wurde. „Fremd im eigenen Land“ hieß die Single, die ihnen 1992 den Durchbruch verschaffte. Etwa im gleichen Zeitraum trafen sich in Deutschlands Underground diverse Gruppen von jungen Tanzkünstlern, sogenannte B-Boys, die von Wochenende zu Wochenende in verschiedenen Städten ihre Treffen als Jams zelebrierten. Darunter auch die Heidelberger POINT BLANK BBOYS, die für ihren Stil, eine außergewöhnliche Fußarbeit, bekannt waren. 1993 formierten sich die verschiedenen Gruppen unter dem Label „Southside Rockers“ und hielten auch im Heidelberger Emmertsgrund Workshops für Jugendliche ab, die sich für Hip Hop und Breakdance interessierten. Soweit zur Geschichte Heidelbergs und ihre Beziehung zur Hip-Hop-Kultur.
Jetzt, 2023, drei Dekaden später, gründen das Heidelberger Kulturzentrum Karlstorbahnhof zusammen Cora Malik, Matthias Paul, Christina Liakopoyloy, Leiterin vom Heidelberger Nostos Tanztheater, sowie dem urbanen Tänzer David Kwiek eine Urban Dance Academy Baden-Württemberg (UDA). Damit docken sie direkt an diese Geschichte an. Für die bestehende urbane Tanzszene sowie für ihren Nachwuchs vervielfältigen sich damit die Möglichkeiten zur künstlerischen Entwicklung und Vernetzung enorm. Mit der besonderen und in Deutschland einzigartigen Ausrichtung der UDA zeigten bereits im Frühjahr und im Sommer 2023 die ersten Teilnehmer:innen ihre erarbeiteten Werke oder nahmen an dem vielseitigen Workshop-Programm der Akademie teil. Ende September konnten jetzt die Tänzer:innen, die sich für die dritte im Herbst ausgeschriebene Runde der UDA beworben hatten, ihre Tanzkünste vor Publikum präsentieren. In den neuen Räumen vom Karlstorbahnhof in der Heidelberger Südstadt ließ sich eine Woche lang die ganze Bandbreite des urbanen Tanzes bestaunen. Von Hip Hop über Popping bis hin zu House – die urbanen Tanzstile, die auf der Straße kreiert und entwickelt wurden und immer wieder durch neue Einflüsse ergänzt oder verändert werden und in Clubs weiter verfeinert oder abgewandelt werden, gehören längst zum Vokabular des zeitgenössischen Bühnentanzes.
In den Choreografien der Künstler:innen ist die Technik des jeweiligen Stils mit einer Idee oder Erzählung verflochten. Mal tritt sie überdeutlich hervor, mal wird sie transformiert oder geht im erzählerischen Setting als zeitgenössische Tanzvokabel auf. In „Uterus Affairs“ etwa tanzen Laura Kassé und Lisa Ennaoui über das Thema Mutterschaft. Beide Künstlerinnen sind tänzerisch in der Club-, Hip-Hop- und Funk-Kultur verwurzelt. In ihrer Choreografie setzen sie auf House als urbane Tanztechnik und als ästhetisches Mittel, um ein vielschichtiges Gesellschaftsbild von Mutterschaft zu entwerfen. Die Tänzerinnen sind gefangen in einer angehaltenen Bewegung – die Arme um Hals und Rumpf geschlungen – doch bald sind sie gelöst und wie im Zwiegespräch oder in einer konfrontierenden Auseinandersetzung miteinander verbunden. Temporeichen Schrittkombinationen, die ein virtuoses Spiel mit Beinen- und Füßen zeigen, folgen von kontrastreichen Arm- und Oberkörperbewegungen. Nie wird die Technik in „Uterus Affairs“ zum bloßen Effekt. Genau darin liegt der große Reiz dieser Tanzkunst und die herausragende Qualität der Choreografie. Kassé und Ennaoui haben eine facettenreiche Arbeit über die Lebenssituation von Müttern geschaffen. Als Duett ist das Werk im Rahmen einer Kooperation mit dem ada studio Berlin entstanden und soll weiter ausgebaut werden.
Mit der Expertise der Urban Dance Academy Baden-Württemberg und ihren unterstützenden Mitteln aus Dramaturgie, Choreografie, Bühnenbild und Bühnentechnik können solche und viele weitere Stücke von Künstler:innen mit einem urbanen Tanzhintergrund professionalisiert werden. Das ist das Ziel und das Projekt der UDA. Zugleich vermittelt diese Plattform für urbanen Tanz auch allen interessierten Menschen ein reiches Programm zum Kennenlernen und Ausprobieren sämtlicher Stile, die ihren Reichtum auch in Zukunft weiter entfalten werden.
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