„The Master’s Tools“ von Ballet National de Marseille und (La)Horde

„Across context“

Start des International DANCE Festival 2025 in München

Das Konzept Tanz erweitert sich. Die Eröffnungsrede und zwei Performances des International DANCE Festivals stellen Fragen über Ohnmacht, Zuversicht und das Morgen. Und es zeigt sich wieder: Kunst ist nicht da, um Antworten zu liefern.

München, 23/05/2025

Wer Genaueres über die inhaltlich-künstlerische Neuausrichtung des DANCE Festivals in München erfahren wollte, brauchte zur Eröffnung im Haus der Kunst nur richtig hinzuschauen. Die sympathische Nonchalance, mit der der neue Künstlerische Leiter Tobias Staab zur Begrüßung des Publikums eine Hand in der Hosentasche behielt, kann als sinnbildlich verstanden werden. Er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Und die Kunst auch nicht. Trotz allem. 

Staab sprach von einem wiederkehrenden Gefühl der Ohnmacht, gesellschaftlich wie künstlerisch, in das man geraten kann. Krieg, das Gefühl gesellschaftlicher Spaltung und drastische Mittelkürzungen, die Menschen dazu veranlassen, sich von der Kunst abzuwenden. Der Ansatz, Kunst könne als Luxus betrachtet werden, kann wirklich lähmend wirken. Das anerkennt Staab alles als Realität. Im Hier und Jetzt, das das Festival sein will und ist, lädt er das Publikum aber dazu ein, Momente der Gemeinschaft zu schaffen. Und gleichzeitig hinzuschauen, auf die Dinge zu schauen, wie sie sind. Wer ohnmächtig ist, schweigt. Und das, so Staab, dürfe nicht sein, auch nicht in der Kunst. Anders formuliert: Wer der Zuversicht eine Absage erteilt, steht ohne ein Morgen da.

Distanz gegenüber dem Ende

Das zog sich als Gedanke durch den Rest des Abends und die beiden folgenden Arbeiten. „Across context“, sozusagen. So zumindest die Formulierung von Xue Tan, Hauptkuratorin und Leitung Programm und Ausstellungen am Haus der Kunst bezogen auf die Arbeiten von Ligia Lewis, mit der das Festival künstlerisch eröffnet wurde. Deren mit (halb)ironischen Brechungen überzuckerter Totentanz „deader than dead“ saugt drei Performer*innen direkt sichtbar die Energie aus dem Körper. Dank schwarzer Perücken wirken alle drei indirekt und gekünstelt. Mit Distanziertheit blicken sie auf das Ende. Misszuverstehen ist der Titel ja nicht. Kraftlos wird da umhergeschlackert, als solle der Tod im doppelten Sinn vorgeführt werden. Letzte Kraftreserven scheint es immer wieder zu geben, das reicht aber gerade mal noch für kurze Pop-Zitate à la Gangnam-Style. Die leichtfüßige Komposition für Spinett täuscht nicht darüber hinweg, dass nichts mehr kommen wird. 

Löst man sich hier von einem eng gefassten Konzept des Tanzes und nimmt zusätzlich den Bereich der Performance in den Blick, wirkt Lewis‘ Arbeit auch in Sachen Dramaturgie plötzlich ganz anders: Natürlich führt das nirgendwohin. Die Körper der Performer*innen klatschen immer wieder laut gegen die Rückwand des Saals. Das Leben als Sackgasse. Da hilft auch eine pseudoreligiöse Atmosphäre nicht weiter. Hier verteilt niemand Absolution.

Genau diese konzeptionelle Öffnung des Tanzes macht die neue Richtung des Festivals aus. Und das Museum als Raum für dieses Performative. Nicht aus Zufall fand die Eröffnung im Haus der Kunst statt. 

Bleibt die Revolte aus?

Mit diesen Hintergedanken im Kopf liess sich die anschließende Performance von Ballet National de Marseille und (La)Horde im Muffatwerk verstehen. Wobei hier, sogar offiziell, die Rede von einer performativen Ausstellung ist. Der allseits bekannte Jumpstyle von (La)Horde, mit dem sie in dem Stück „To da bone“ das Publikum europaweit zum Zucken gebracht haben, wird hier in einen größeren Kontext gestellt. In einer Mischung aus aggressiver Subkultur, Klassenkampf und Kapitalismuskritik bekommt der eigentlich so beschwingt unschuldig wirkende tänzerische Ansatz eine bedrohlichere Wirkung: Für „The Master’s Tools“ steht inmitten des Saals im Muffatwerk eine schwarze Stretchlimousine als unmissverständliche Metapher für den Kapitalismus. Um Missverständnissen ganz sicher vorzubeugen, prangt auf dem Nummernschild der Schriftzug „The Beast“. Obwohl die Frontscheibe gesplittert ist und quer über die Längsseite der Schriftzug „We, the People“ gesprayt wurde (Präambel der US-Verfassung), hat der Koloss offenbar nichts an Attraktivität verloren. Über die gesamte Dauer der Ausstellung hängen, liegen, kleben mehrere Performer*innen an und auf der Karre als handelte es sich um einen heilsbringenden Fetisch. Eine erobernde Inbesitznahme zumindest sieht anders aus. Blickt man auf den Titel der Arbeit, lässt sich das lesen als „Man beißt nicht die Hand, die einen füttert.“ Also was? Kritik an der Kapitalismuskritik?

Vereinzelt ergänzen Performer*innen diese stumpfsinnige Anbetung durch das unermüdliche Sprayen des Schriftzugs „Tomorrow is Cancelled“ auf den Boden des Saals. Zwei Kehrmaschinen löschen jeden Buchstaben binnen weniger Momente gleich wieder aus, andächtig, langsam, fast genussvoll. Da ist es wieder, das verschwindende Morgen. 

Auch hier also keine Zuversicht? Den Eindruck zumindest erweckt ein parallel laufender Film auf riesigem Screen, der eine Performance von (La)Horde aus dem Jahr 2017 dokumentiert, in der ein Gabelstapler-Duett in eine augenscheinliche Antifa-Demo mit vielen schwarzen Hoodies und Nebelkerzen eskaliert, Wasserwerfer inklusive. Das aggressive Werfen von Pflastersteinen durch die Demonstranten allerdings ist nur eine künstlerische Geste: Die Würfe sind nur angedeutet, ihre Hände sind leer. Die Aggression ist inszeniert. Bleibt die jugendliche Revolte also aus, weil es wirklich kein Morgen gibt? Wenn schon allein der Auftakt so aussieht, kommen bis zum Ende des Festivals am ersten Juni-Wochenende garantiert noch jede Menge weiterer Fragen dazu.

 

 

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