„Across context“
Start des International DANCE Festival 2025 in München
Das International DANCE Festival München vom 22. Mai bis 01. Juni
Als Tobias Staab im Sommer 2023 die Verantwortung für das internationale Festival für zeitgenössischen Tanz der Landeshauptstadt München übernahm, kündigte er an, es in Richtung Clubkultur und Bildende Kunst öffnen und DANCE „zu einer Festivität“ machen zu wollen, „zu einem Ereignis, zu dem man anreist.“ Letzteres wünscht sich wohl jeder Festivalmacher, ersteres fügt sich nahtlos in die Biografie des DJs, Dramaturgen, Kurators und Regisseurs, den man in München vor allem als Teil von Richard Siegals Ballet of Difference und als Organisator von Club-Events kennt. 1981 geboren und seinerzeit von Johan Simons an die Münchner Kammerspiele geholt, fühlt sich Staab nach eigener Aussage „in den Zwischenräumen“ am wohlsten, dort, „wo sich die Peripherien der Künste überschneiden und aufeinander reagieren“ und sich auch Profi-Zuschauende erst orientieren müssen.
Mit seiner Fünf-Kanal-Videoinstallation „Trans Corporal Formations“ war er in der letzten DANCE-Edition seiner Vorgängerin Nina Hümpel selbst zu Gast. Am kommenden Donnerstag startet Staabs erste Ausgabe der jetzt „International DANCE Festival München“ genannten Biennale.
Und wer reist jetzt an? „Mehr Leute als gedacht“, sagt Staab, „aber sie kommen für unterschiedliche Dinge“. Die einen für die Deutschlandpremiere von „TOTENTANZ“ aus Barcelona, weil es um Marcos Moraus Kompanie La Veronal einen Hype gibt, aber laut Staab auch, weil sich diese Arbeit sehr von jenen unterscheidet, die der Choreograf des Jahres 2023 an den großen internationalen Balletthäusern inszeniert: radikaler, albtraumhaft-düster, flirrend zwischen Installation und Videokunst, Liszt und Techno. Aber auch Ligia Lewis ziehe non professionals wie professionals an, die mit „deader than dead“ Teil des DANCE-Eröffnungsreigens ist, aber auch mit der performativen Installation „study now steady“ das Haus der Kunst entert. Diese Europapremiere habe ästhetisch einen deutlich anderen Dreh als Lewis´ politischere Arbeiten, in denen sie die Kolonialgeschichte und ihre Wurzeln im westlichen Denken dekonstruiert, so Staab. Und: „Es ist nicht einfach eine Installation, sondern die Performer*innen sind jeden Tag drei Stunden lang anwesend. Das interessiert die Leute.“
Und da ist sie auch schon: Die Verbindung zwischen Tanz und Bildender Kunst, die nach außen hin sichtbar wird durch die zahlreichen Kollaborationen mit Museen, aber auch durch die Auflösung der klassischen Trennung von Zuschauenden und Performenden in bekannten Räumen. Das kennt man zwar, hat es aber vielleicht noch nie in dieser Konsequenz erlebt. Staab hat die Freiheit inspiriert, mit der sich Besucher*innen von Ausstellungen oder Popkonzerten im Raum bewegen und damit ihre Perspektive gegenüber der Kunst und den anderen Menschen selbst bestimmen. Wie dabei ein besonderes Erlebnis ohne übertriebenen Interpretationsdruck und eine entspannte Gemeinschaft unterschiedlichster Menschen auf Zeit entsteht, konnte man gerade im Utopia erleben, wo Tobias Staab gemeinsam mit Lotte van den Berg die Nō-Oper „Matsukaze“ als immersive Raumklang-Meditation inszeniert hat.
In Zeiten, in denen sich Nationen wie Individuen hinter realen und Denk-Mauern verschanzen, „Situationen schaffen, in denen man die Anderen spürt“ und „die Logik einer Show aufbrechen“, das versucht Staab auch als Festivalmacher. In diesem Sinne „unlogisch“ ist sowohl Ewa Dziarnowskas Kurz-Durational „This resting, patience“ – einer der Festivalhits des Jahres (Staab: „Für solche Arbeiten macht man diesen Job.“) – als auch die performative Ausstellung von (LA)HORDE, „The Master´s Tools“, eine brandneue Collage älterer Performances, die live und auf Screens an drei Orten im Muffatwerk loopen. Im Zentrum das sehr physische „To Da Bone“ von 2017 mit jungen Jumpstyle-Tänzer*innen.
Dass Tobias Staab Arbeiten von Richard Siegal und Trajal Harrel eingeladen hat, mit denen er enge Arbeitsbeziehungen unterhält, ist keine Überraschung. Beide haben eine lange Münchner und DANCE-Vergangenheit und kommen mit für sie mehr (Harrel) oder weniger klassischen Formaten (Siegal). Die wie Harrel mit den Kammerspielen assoziierte Choreografin Marlene Monteiro Freitas bringt erstmals die inklusive Kompanie Dançando com a Diferença aus Madeira in die Stadt, in der – und das ist schon erstaunlich – auch Anne Teresa De Keersmaekers erste Choreografie „Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich“ von 1982 noch nie zu sehen war. Was hingegen Staab wundert: „Dass der Choreograf François Chaignaud noch nie in München vorgekommen ist. Er ist in Frankreich ein Star und als Performer ein Präsenzwunder. Ich könnte ihm stundenlang zuschauen.“ In der als Late Night-Stück programmierten Deutschlandpremiere von „Radio Vinci Park“ trifft Chaignaud auf seinen Landsmann Théo Mercier, der laut Staab „eher skulptural und in Räumen denkt“. Staab verspricht unvergessliche 45 Minuten im Utopia, in denen „die Fähigkeiten dieser beiden Künstler auf interessante Art zusammenkommen“. Nach einem visuellen und musikalischen Beginn mit Barockmusik folge ein Duett mit einem Motorrad-Stuntman, schräg, queer und vage gefährlich.
Was Staab während der Festivalvorbereitung auch entdeckt hat: „Wie viele Subkulturen des Tanzes in München stattfinden und dass die Stadt sogar eine Ballroom-Szene hat“. All diese Szenen einzubinden und damit bei vielfach freiem Eintritt auch die Grenzen zwischen Sub- und Hochkultur zu verwischen, war ihm ein Anliegen. Mit allein sieben (!) Partys im Blitz Club steht auch das Feiern ganz oben auf der Prioritätenliste von DANCE 2025, und auch nach der offenen Probe von Moritz Ostruschnjaks „Cardboard Sessions“ in der Pinakothek der Moderne heißt es: Mittanzen! Der Shootingstar der Münchner freien Szene geht hier gemeinsam mit 16 Urban Dancers zurück zu seinen Wurzeln als Sprayer und Breaker.
Außerdem mit von der Partie bei DANCE: Die Teil-Münchner Diego Tortelli & Miria Wurm mit „TERRANOVA / hidden link“, Alice Ripoll mit ihrem hoffnungsvollen Stück „Zona Franca“ aus dem Post-Bolsonaro-Brasilien, in dem auch Davi Pontes und Wallace Ferreira nackte Tatsachen gegen Rassismus und Queerfeindlichkeit in Stellung bringen. Und aus Afrika gibt es eine Reihe junger Talente mit gesellschaftskritischen Solos zu bestaunen. Wie aber steht es mit der Digitalität, für die Tobias Staab selbst brennt? „Man kann Digitalität auch verhandeln ohne an jeder Ecke einen Screen zu brauchen.“ Zum Beispiel gehe es in Jefta van Dinthers bislang größter Arbeit „Ausland“ um Fluchtbewegungen in digitale und andere alternative Realitäten. Das frei durch den Westflügel im Haus der Kunst floatende Publikum begegne aber fast drei Stunden lang realen Körpern in realen Räumen. Und diese Begegnungen machen ja den Reiz eines solchen Festivals aus.
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