„Red Carpet“ von Hofesh Shechter

Hinterm Vorhang

„Red Carpet“ von Hofesh Shechter in Paris

Im Pariser Palais Garnier zieht eine sehr lebendige Geisterbeschwörung in den Bann.

Paris, 13/07/2025

In edlem, sinnlichem Rot erstrahlt der Samtvorhang im ehrwürdigen Palais Garnier, bis ihm zunehmend die Farbe entzogen wird, er gespenstisch erbleicht an diesem Ort der Mythen und Legenden, nicht zuletzt des Phantoms der Oper. Im Laufe des neuen Stücks, das Hofesh Shechter für das Pariser Opernballett entworfen hat, werden die 13, ja: 13, Tänzerinnen und Tänzer von einer noblen Partygesellschaft in Chanel-Kostümen zu Geistern ihrer selbst, die in hautfarbener, enganliegender Underwear unter fahlem Licht wie Giselles Wilis ihr Leben unendlich weitertanzen.

Es ist fantastisch, wie Shechter zur selbstgemachten, in trancehaften Schleifen mäandernden Clubbing-Musik die Tradition des Hauses beschwört, das festliche Gepränge in die Cabaret-Atmosphäre der Clubs und Cafés Dansant überführt, Orte, wo die einfachen Leute sich mit dem Glitzer und Samt der bewunderten Stars aufhübschen und so ihr sonst vielleicht karges, blasses Angestelltenleben mit dem Hauch der besonderen Nacht aufwerten.

Der im Titel „Red Carpet“ vorgegebene rote Teppich ist hier der rote Vorhang, der sich vor der Show des Lebens öffnet, wenn man feiert. Shechter lässt drei hintereinander aufgehen, erst über den Tanzenden, dann über dem Lüster, der dem realen im Zuschauerraum des Palais Garnier nacheifert, dann über der vierköpfigen Kombo um Yaron Engler auf der Balustrade, die live mit den Elektroschleifen spielt. So wird man schon optisch immer tiefer hineingezogen in diese Party, die von den Tanzenden mit schwingenden Hüften, mal mit tribal gebückten Oberkörpern vorwärtsziehend, mal mit himmelwärts gereckten Armen wie beim Hallelujah zu einem Rundtanz ums Goldene Kalb gesteigert wird, das hier der strahlende Lüster ist. 

Hingabe und Unterwerfung

Shechter greift so einmal mehr das Rituelle auf, das die Masse im Clubbing einswerden lässt. Das kann wie in seinem quasi Hardrock-Konzert „Political Mother“ auch gefährlich werden, weil Hingabe auch immer Unterwerfung ist und einer diesen Sound ja auch bestimmt. Seine Red-Carpet-Party ist zunächst Schwelgen in Musik und Rhythmus, freilich nicht so einpeitschend wie „Political Mother“, eher wohlige Wellness der Selbstaufgabe in Glamour und Party. Aber Shechter bricht das subtil auf, wenn die Tanzenden mehr und mehr von ihrem Edeloutfit ablegen, wenn der Lüster plötzlich nur noch ein fahles Licht auf die Bühne wirft, fast wie das Ghostlight, das über Nacht dort brennen bleibt und das John Neumeier jüngst beschwor. 

Und so wirken die Tanzenden nun wie Lemuren, sind quasi entkleidet auf ihre Seelen, die immer weitertanzen, ob Fluch, ob Segen, wer weiß. Gespenstisch, wie sie noch fiktive Röcke schürzen oder aufheben wie beim Can-Can, aber es sind nur noch die vertrauten Gesten vergangener Zeit. In aller Strenge lässt Shechter auch private Gesten wie das Ausschnipsen einer fiktiven Zigarette oder den kontrollierenden Griff an den Haaransatz zu. Es gibt den punkigen Springteufel, der die Bandbalustrade erklimmt, Menschen, die einen Strauchelnden auffangen, den stillen Gucker am Rand, die Heilandsgeste, vervielfacht, und Meditation im Schneidersitz. 

Aus der Gruppe kommt, will, kann hier keine(r) raus. So geht der forschende Blick einer Reihe von Tänzern zwischendurch auch ins längst atmosphärisch aufgesogene Publikum. Auch unsere Hingabe verlangt zumindest nachträglich Reflexion. Am Ende senkt sich der Lüster über die erstarrten Tänzerinnen und Tänzer wie zu einer letzten Weihe, bevor der Vorhang fällt. Eine suggestive Show, mal ins Sakral, mal ins Gespenstische drehend, dadurch mysteriös und aufrüttelnd bei aller Hingabe. Shechter und die Pariser Compagnie in Bestform. 

 

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