We were all children
Video presentation and talk of "melancholic ground" by Doris Uhlich at Choreographic Platform Austria
Intersektionale Formate und bewundernswerte Künstler*innen bei der Choreographic Platform Austria
Von Sophie Switenko
Im Rahmen der Choreographic Platform Austria habe ich mithilfe von Video- und Audioaufnahmen die Atmosphäre und die Soundebene des Tanzfestivals dokumentiert. Besonders auffällig war – die Lebendigkeit des Ganzen! In meinen Aufnahmen wird vor, nach und teilweise auch zwischen den Vorstellungen in den Menschenmengen ununterbrochen gesprochen – wirkliche Ruhe entstand nur in der respektvollen Stille während der Performances.
Mein Festivalbesuch beginnt mit der allerersten Vorstellung des Programms: „Parsley for garnish“ von Sasha Portyannikova. Ganz schnell merke ich: Ich habe keinen Ton zu dokumentieren. Denn die Performance bleibt über weite Strecken lautlos bis auf einige Toneinspielungen zum Schluss. Dennoch sind die Emotionen deutlich spürbar – sie entstehen einerseits aus den ruhigen, aber auch andererseits schlagartigen Bewegungen, der Klang ist hier im Körper verankert und nicht an äußerliche Geräusche oder Musik gebunden. Sprache ist präsent, aber auf eine stille Weise: Dem Publikum werden zu Beginn Karten mit Fragen zu Dilemmata von Migration, Fremdsein und Konflikten ausgeteilt. Innerlich mussten sich die Zuschauer*innen entscheiden, welchen Weg sie wählen würden bzw. ob sie sich dem Zwang beugen würden, etwa bei einer rechten Regierung oder einem Kriegsausbruch ihr Land zu verlassen. Das löst natürlich sehr ambivalente Gefühle aus. Und durch den intensiven Blickkontakt mit der Künstlerin entsteht das Gefühl, zugleich Beobachter*in und Beobachtete*r zu sein.
Bei „ZĀĀR“ von Ulduz Ahmadzadeh und ihrer Tanzkompanie Atash verlangsamt sich das Geschehen allmählich zu einem präzisen Zusammenspiel, bis Bewegungen und Klänge synchron ineinandergreifen. Tropfende Eiskugeln, rhythmisches Schütteln und Klatschen erzeugen eine Atmosphäre der Kälte, obwohl der Raum physisch warm bleibt. Die immersive Klanglandschaft von „ZĀĀR“ verstärkt die körperliche Wahrnehmung so sehr, dass am Ende der Eindruck entsteht, in dieser ritualhaften Choreografie selbst mittanzen zu wollen.
Die Performance „The Last Feminist“ von Myassa Kraitt ist emotional die intensivste Performance des Festivals. Es ist beinahe unmöglich, die Tränen zurückzuhalten. Hier wird die Sprache – oder genauer die Stimme als Leitmittel genutzt und das hat eine massive Wirkung. Der Gesang und die Musik dienen zur Unterstützung der gesprochenen Sätze. Hier wird deutlich, welche Macht Sprache besitzt und wie wichtig es ist, die eigene Stimme zu nutzen – auch stellvertretend für Menschen, die diese Stimme nicht haben. Während der Aufführung bleibt mein Körper permanent angespannt, es gibt kaum Momente zum Durchatmen, da das Publikum konstant mit vielfältigen Problemen rund um Feminismus und Gleichberechtigung konfrontiert wird. Die Art, wie gesprochen wird, ist bewusst konfrontativ und drängend gewählt, damit man aufmerksam und wach gegenüber dem Thema eines dekolonialen, queeren und nicht-weißen Feminismus bleibt.
So unterschiedlich alle Performances sind, ein Moment verbindet sie: Klänge entstehen durch Körper – mal bewusst und klar inszeniert, mal indirekt und beiläufig.
In „Make it Count“ von Matteo Haitzmann wird Klang unmittelbar verkörpert und die Verbindung zwischen Körper und Sound erfahrbar. Das Stück zeigt exemplarisch, wie Bewegungen Klänge hervorbringen und sich umgekehrt vom Klang leiten lassen. Zwischendurch entstehen ruhigere Momente, etwa wenn der Künstler beginnt, Dehnübungen mit dem Seil auszuführen: Er zieht das Seil eng an seinem Körper entlang, als wolle er mit ihm verschmelzen, wodurch eine eigene, leise Körperlichkeit sichtbar wird. Kurzzeitig bricht der Ernst der Situation auf – eine Snack-Pause zwischendurch, vereinzelte amüsierte Geräusche im Publikum – und schafft Momente von Leichtigkeit und der Bezugnahme.
Das Publikum frage ich was für Emotionen oder Gefühle im Körper sie empfunden haben: die meisten haben richtig mitgefiebert! Man schaut dem Performer zu, wie er sich schon fast zu Ohnmacht springt, zwischendurch auch mal ausruft, um diese Spannung und Anstrengung irgendwie anders loszuwerden. Man vergnügt sich schon fast an dem körperlichen Leiden der performenden Person, aber es entsteht sowohl das Gefühl von Empathie als auch die Illusion eines Muskelkaters. Das Herz synchronisiert seine Schläge zu dem Rhythmus der Performance – und es fühlt sich so an, als wäre die Musik in einem selbst drinnen. Mir ist besonders eine Antwort des Publikums im Gedächtnis geblieben: Man ist gefangen im Rhythmus.
Und dieser Gefangenheit kann man nur schlecht entkommen, wenn die Musik zum Schluss immer lauter und intensiver pumpt, genauso wie das eigene Herz.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation von tanznetz mit Studierenden der Paris Lodron Universität in Salzburg unter der Leitung von Dr. Miriam Althammer und der Choreographic Platform Austria.
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