„Der Liebhaber“, Choreografie Marco Goecke: Ensemble Ballett Basel

Feiner Beobachter des Lebens

Fulminanter Neustart des Balletts Basel unter Marco Goecke

Schon im Vorfeld der Premiere ist die Stimmung bestens, und mit der phänomenal getanzten Schweizer Erstaufführung von „Der Liebhaber“ sorgt die neu formierte Kompanie für einen euphorisierenden Einstand.

Basel, 12/10/2025

Das Interesse an diesem Basler Neubeginn ist groß, nicht erst am Tag der ersten Premiere, sondern bereits zu Wochenbeginn bei der Einführungsveranstaltung für „Der Liebhaber“ mit Gespräch und Besuch einer Bühnenprobe. Schon 25 Minuten vor Beginn sind alle Plätze auf den Stufen des Theater-Foyers besetzt.

Marco Goecke hatte „Der Liebhaber“, basierend auf dem Roman von Marguerite Duras, 2021 in Hannover kreiert (wo die Uraufführung bedingt durch Corona via Livestream stattfand). Im Gespräch mit der Dramaturgin Lucie Machan erzählt er wohlformuliert über das Stück und dessen Entstehung, streut immer wieder mit Tiefgründigkeit und klugem Witz kleine Exkurse ein. Goecke ist ein feiner Beobachter des Lebens.

Hervorgehoben wird von beiden, wie gut sich die 28-köpfige Kompanie in den wenigen Wochen seit Beginn der Saison zusammengefunden habe, und auch ein Instagram Video illustriert effektvoll anrührend Momente des Neustarts mit Proben für „Der Liebhaber“, die sich imaginär an die Ufer des Mekongs begeben, einem der zentralen Schauplätze der in Französisch-Indochina angesiedelten Geschichte.

Bei der Bühnenprobe geht es ruhig und konzentriert zu, die Stimmung ist entspannt, es wird viel gelacht. Goecke sitzt in gewohnter Manier mit dem Rücken zum Bühnenrand, schreitet auch mal mittenmang umher, subtil Korrekturen anbringend, ab und an ertönt ein anerkennendes „nice“. Viele bringen bereits sehr viel Erfahrung mit Goeckes Choreografien mit, aber es gibt auch zwei „Goecke-Neulinge“.

Give and Take im Probenprozess

Maurus Gauthier, der aus der Nähe von Chur stammt, ist überglücklich, nach 17 Jahren in Hamburg, Stuttgart und Hannover wieder in der Schweizer Heimat zu leben. Zuhause ist der Tänzer aber auch lange schon in Goeckes Bewegungssprache. Er hat bereits bei seinen vorherigen Stationen in vielen seiner Werke getanzt, und in Hannover wurde die Rolle des Liebhabers für ihn kreiert. Auch in Basel ist Gauthier wieder die erste Besetzung. 

Der Taiwanese Cheng-An Wu hingegen tanzt das erste Mal in seinem Leben in einem Stück von Goecke – und wurde direkt für die zweite Besetzung der Rolle auserkoren. Wu sagt lachend, er fühle sich wie ein Baby, das alles neu lernen muss. In der Bühnenprobe zeigt er jedoch, wie schnell er sich das Goecke‘sche Bewegungsvokabular zu eigen gemacht hat. „How physicality meets the character“ sei für ihn größte Herausforderung. Um der Person des Liebhabers - im Buch mit Adjektiven wie „zerbrechlich“ und „schwächlich“ charakterisiert - gerecht zu werden, will eine Balance zwischen den messerscharf-präzisen Bewegungen und Zurücknahme gefunden werden. Maurus Gauthier hat seinen neuen Kollegen beim Erarbeiten der Rolle mit Rat, Tat und Herzenswärme unterstützt, und bezeichnet den Probenprozess als „give and take“. Beide Tänzer sind sich einig: „We are embracing each other“. Und meinen damit die ganze Kompanie.

Wie ein Schweizer Uhrwerk im Goecke-Takt

Wie sehr in der Tat das neue Ensemble in der Kürze der Zeit zu einer Einheit zusammengewachsen ist, zeigt sich bei der Premiere vor rappelvollem Haus. Im Publikum ein kleines Who is Who der (nicht nur Schweizer) Tanzwelt, Goecke Fans aus Stuttgart und Hannover - und sogar Ehrengäste aus Schweden: Mats Ek nebst Ana Laguna, die gerade beide wegen der Premiere von „Carmen“ beim Ballett Zürich am Folgetag im Lande weilen. Und natürlich viele Basler, die hoffentlich an diesem Abend zu neuen Fans werden. Spannung und Vorfreude sind groß. 

Es ist unübersehbar, dass bei der Einstudierung (Ralitza Malehounova, Takako Nishi, Ludovico Pace) ganze Arbeit geleistet wurde. Das Ergebnis ist wie aus einem Guss, die Tänzer*innen sind präzise wie ein Schweizer Uhrwerk im Goecke-Takt. Meisterhaft setzen sie die Choreografie um, in der Goecke eine so wunderbare Entsprechung des knappen, elliptischen und gleichzeitig poetisch-suggestiven Sprachduktus des Duras'schen Romans geschaffen hat. Sandra Bourdais und Maurus Gauthier lassen die Liebe zwischen dem namenlosen Mädchen und dem wesentlich älteren chinesischen Liebhaber oszillieren zwischen Momenten enigmatischer Distanziertheit und Hingabe und Leidenschaft. Nicht nur sie, alle loten ihre Rollen gekonnt aus und lassen diese phänomenal getanzte Vorstellung zu einem Erlebnis von überwältigender, seelenberührender Intensität werden. 

Der Vorhang ist noch nicht mal ansatzweise geschlossen, als die ersten Bravo-Rufe durch den Saal hallen. Und nach dem letzten Vorhang ertönt hinter ihm befreiter, freudiger Jubel der beglückten Kompanie. Was für ein euphorisierender, vorwärtsgewandter, vielversprechender Start. Intendant Benedikt von Peter, der den Coup gelandet hatte, Marco Goecke im Team mit Nadja Kadel und Ludovico Pace ans Theater Basel zu holen, endet seine Premierenansprache mit dem Satz: „Das war Weltklasse“. Und diese Worte dürfen mit Fug und Recht so stehengelassen werden.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern