„Hello Earth“ von Marco Goecke. Tanz: Maurus Gauthier

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Marco Goeckes Vertrag beendet

Die Staatsoper Hannover trennt sich mit sofortiger Wirkung von ihrem Ballettdirektor

Nach dem Übergriff auf die Journalistin Wiebke Hüster am vergangenen Samstag haben sich beide Parteien geeinigt, Goeckes Vertrag als Ballettdirektor aufzulösen. Aber wie geht es weiter?

Hannover, 16/02/2023

Es ist ein Eklat, so turbulent in seiner Einzigartigkeit, dass er nicht nur in den deutschen Feuilletons, sondern längst auch in der internationalen Presse heiß diskutiert wird. Nachdem Hannovers Ballettdirektor Marco Goecke die Kritikerin Wiebke Hüster am Samstagabend bei der Premiere von „Glaube – Liebe – Hoffnung“ in der Staatsoper Hannover mit dem Kot seines Dackels im Gesicht beschmiert hatte, wurde er zunächst suspendiert. In einer von der Intendantin Laura Berman anberaumten Pressekonferenz am gestrigen Donnerstagmittag gab das Theater nun bekannt, Goecke mit sofortiger Wirkung zu entlassen.

In einem ausführlichen Statement sagte eine sichtlich angefasste Berman, dass es angesichts der Widerlichkeit der Tat außer Frage stünde, dass Goecke als Ballettchef „nicht mehr tragbar“ sei. Trotzdem sei es richtig und wichtig gewesen, zunächst das persönliche Gespräch beim Choreografen zuhause zu suchen, um zu erörtern was geschehen sei. Sie betonte, dass sie über Goeckes Verhalten insbesondere deshalb schockiert sei, weil sie ihn stets als verantwortlichen Ballettdirektor und als „mitfühlenden, rücksichtsvollen, humorvollen, gelegentlich sehr verletzlichen Menschen“ erlebt habe. 

Die sofortige Auflösung des Vertrags, die laut Berman von beiden Parteien einvernehmlich geschehen ist, bedeutet allerdings nicht, dass Goeckes Werke in der Hannover'schen Staatsoper nicht mehr gespielt werden. Berman setze sich in ihrem Statement für die Trennung von Künstler und Kunst ein und gab bekannt, dass seine Werke im Repertoire bleiben werden. Auch habe das Staatsballett Hannover seinen Tänzer*innen eine Jobgarantie bis Sommer 2024 ausgesprochen. Darüber hinaus berichtete die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf die dpa, dass das Stuttgarter Theaterhaus Goeckes Engagement als Artist in Residence fortführen und auch das Nederland Dans Theater seine Stücke weiterhin spielen möchte, darunter auch „In the Dutch Mountains“, dessen Verriss von Wiebke Hüster am Wochenende zum Hundekot-Eklat geführt hatte. Auch vom Bayerischen Staatsballett und dem Gärtnerplatztheater in München gibt es keine gegenteiligen Aussagen, man wird hier wohl ebenfalls an allen Verabredungen mit Goecke festhalten.

Zum Abschluss ihrer Ausführungen stellte sich Laura Berman schützend vor ihre Künstler*innen und übte Kritik an beleidigender Berichterstattung. In der heutigen Zeit sei „verantwortungsvolle Kritik [...] gefährdet, denn polarisierende Äußerungen erzeugen mehr Aufmerksamkeit, mehr Klicks. In einer Zeit, in der jede und jeder auf unterschiedlichsten Kanälen seine Meinung – zum Teil anonym und oft ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein – äußern kann und darf, wird ein Druck aufgebaut, der für ein Individuum kaum ertragbar ist. Selbstverständlich entschuldigt oder rechtfertigt das keine Übergriffe jeglicher Art.“

Angesichts der Härte des Übergriffs ging an Goeckes Entlassung kein Weg vorbei. Dennoch wird die dadurch angeheizte Diskussion deshalb nicht verstummen, sondern vermutlich noch stärker angeheizt. Zu lange schon brodelt die (häufig unausgesprochene) Unstimmigkeit zwischen Kritik und Kunstschaffenden, die sich nun in einem beispiellosen Eklat entzündet hat. Vorletztes Jahr bezeichnete Karin Beier, die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, die Theaterkritik als „Scheiße am Ärmel“ der Kunst. Wer hätte gedacht, dass das noch nicht die Spitze des Eisbergs, sondern in gewisser Weise ein Vorhersagung war?

Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Fronten nun nicht verhärten, beide Seiten an sich arbeiten, aufeinander zugehen und künftig mehr miteinander sprechen. Dieser Eklat ist auch ein Grund mehr, um über die prekäre Situation des Tanzjournalismus zu sprechen. Denn wo es nur noch wenige fundierte Berichte zum Tanz und noch weniger Journalist*innen mit großer Expertise gibt, zählen Einzelmeinungen viel, können die sozialen Medien sich an die Stelle fundierter Kritik setzen und Künstler*innen sich auf fatale Weise berufen fühlen, zu eigenen Mitteln zu greifen. In der „Goecke-Hüster-Causa“ sind zwei Menschen auf dem Weg, ihre Karrieren zu ruinieren, denn auch Wiebke Hüster mit ihrem Schreibstil ist nun einer großen Öffentlichkeit auffällig geworden. Wirklich berühmt könnte Deutschland jetzt werden, wenn die beiden der Schriftstellerin Sibylle Berg folgen würden, die auf Twitter schreibt: „Überragende Künstler sind Ausnahmemenschen. Sie dürfen nicht alles - aber shit happens. Marco Goecke ist einer der überragenden Künstler in D - ihn zu verlieren, wäre ein riesiger Verlust - macht ne Therapie, gebt Euch die Hand.“ Wir schlagen vor das Ganze umzudrehen: erst Hand geben, dann gemeinsam aufarbeiten, was war. So ginge Dialog!

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