„Die Hundekot-Attacke“

„Die Hundekot-Attacke“ am Theaterhaus Jena

Meta-Finten der Authentizität

Theaterhaus Jena liefert mit „Die Hundekot-Attacke“ das Stück zum Aufreger des Jahres

Choreograf beschmiert Kritikerin mit Hundekot. Was für ein grandioser Theaterstoff. Das dachte sich das Theaterhaus Jena. Dabei werden sie den aufgebauschten Erwartungen an den Titel kaum gerecht – zum Glück.

Jena, 22/12/2023

Sechs Stühle. Das ist alles, was das Theaterhaus Jena braucht, um den größten Tanzskandal des letzten Jahres zu verhandeln. „Die Hundekot-Attacke“ heißt der Abend und ist ausgezeichnet als kollektives Werk, das eben den Vorgang rund um den Choreografen Marco Goecke, der der Kritikerin Wiebke Hüster, wohl aufgrund einer abfälligen Kritik zu seinem Stück „The Dutch Mountains“, eine Ladung Dackel-Fäkalien ins Gesicht schmierte.

Das war im Februar diesen Jahres, und bereits im Oktober hat das Kollektiv des Theaterhauses daraus einen Theaterabend unter der Regie von Walter Bart gezimmert. Interessanterweise fallen während der einen Stunde und 45 Minuten Laufzeit weder die Namen Hüster noch Goecke. Dafür aber gibt es später Lobeshymnen an die lokalen und regionalen Theaterkritiker*innen, die die Arbeit des Hauses auch jenseits des Hypes („43 dpa-Meldungen!“) rund um „Die Hundekot-Attacke“ kontinuierlich begleiten. Das überregionale Fazit fällt frustiert ernüchternder aus: „Wir machen hier fünf Jahre gute Stücke und es kommt niemand!

Ab auf die Meta-Ebene

„Die Hundekot-Attacke“ spielt damit sehr gekonnt die derzeitige Meta-Ebene von Theaterproduktion und seinem Verhältnis zur Kritik durch. Das Szenario ist denkbar einfach. Auf den sechs Stühlen sitzen sechs Protagonist*innen aus dem Ensemble des Theaterhaus Jena (Pina Bergemann, Nikita Buldyrski, Henrike Commichau, Linde Dercon, Leon Pfannenmüller und Anna K. Seidel, die bei der gesehenen Vorstellung krankheitsbedingt durch Mona Vojacek Koper verkörpert wurde). Sie präsentieren die Dokumentation eines Scheiterns, nämlich des Scheiterns der Produktion, deren Zeuge die Besucher*innen werden. Verlesen wird der E-Mail-Verkehr des Kollektivs mit minimalen aber sehr genau gesetzten Haltungen. Ein Szenario, das höchste Authentizität vorgibt, aber doch das genaue Gegenteil ist: ein hochartifizieller Mehrebenentext von höchstem Unterhaltungswert. Das beginnt schon mit Linde Dercon, die sich als niederländische Tänzerin vorstellt und in einer kurzen Powerpoint-Präsentation über ihre Ausbildung beim Royal Conservatoire Dance in Den Haag und ihren künstlerischen Werdegang beim NDT II und NDT I berichtet. Schnell geskippt werden die Folien zu Ernährung und Trainingsplänen, aber es wird klar, worum es geht. Als Tänzerin soll sie die Produktion in Jena unterstützten – und wird mit in den E-Mail-Verteiler aufgenommen, wo sie auf Englisch ihre eher technischen Anweisungen durchgibt, während die anderen sich inhaltlich auf diversen Ebenen verzetteln. Alles klingt plausibel, doch natürlich ist Dercon keinesfalls externe Tänzerin, sondern ebenfalls Teil des Jenaer Schauspielkollektivs. Authentizität in your face!

Verhandelt werden in diesen Emails die Rolle von Kritik und Theater, der eigene Umgang mit Kritik (hier großartig: Leon Pfaffenmüller der obsessiv einer Kritik zu seiner ersten Hauptrolle als Roberto Zucco aus 2013 nachhängt), der Zustand der Medien, der eigene Marktwert („Das kann man auch ins Bewerbungsschreiben in den Betreff setzen“), Geschlechterpolitik und vieles andere mehr. Und die Arbeit zeigt, Diskurstheater braucht keine kompliziert gemeißelten Textflächen, sondern kann auch unterhaltend und trotzdem auf den Punkt sein. Denn alle driften mehr und mehr ab in ihre Obsessionen, ergehen sich in merkwürdigen Ausschweifungen, die dennoch immer rückgekoppelt sind an das Thema. So fabuliert Seidel bzw. Vojacek Koper etwa über das Verhältnis von Jagd, Waldpflege und Kritik, weil „die Kritikerin“ ja selbst Jägerin sei - was eine Jenaer Erfindung ist -, während Henrike Commichau einen fiktiven E-Mailverkehr mit „dem Choreografen“ beginnt. Dazwischen geht es um Tatort-Engagements und Requisitenwünsche und immer wieder um die Bitte der Tänzerin Dercon, alle mögen doch pünktlich zur Probe erscheinen. 

Am Ende ein bisschen Tanz

Don’t believe the Hype! Die Katastrophe ist der einzige Ausweg aus diesem aufgebauschten Medienereignis. Auf der Bühne entsteht ein vielschichtiges und tiefgehendes Panorama, ja ein Kosmos. Die scheinbare Oberflächlichkeit blickt mit einem performativen und lustig hüpfenden Röntgenstrahl durch die großen und kleinen Strukturen.

Am Ende, als die Produktion abgesagt und alle E-Mails verlesen sind, wird dann doch noch getanzt. Dem Choreografen Edoardo Cino und dem Ensemble gelingt hier ein kleines Kunststück. Zu atonaler Musik liefern die sechs eine abstrakte Choreografie, und während die Schauspieler*innen sich doch arg abmühen, gibt Dercon eine körpereloquente Tänzerin ab. Chapeau angesichts dieser letzten Finte der tänzerischen Illusion am Ende eines durchaus sehenswerten Abends, bei dem es gar nicht so viel zu sehen, aber viel zu staunen gibt.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern