„Manu Malo“ von Aloali’i Tapu 

„Manu Malo“ von Aloali’i Tapu 

Ein starker Jahrgang

Die K3-Residenzchoreograf*innen zeigen ihre Arbeiten auf Kampnagel in Hamburg

Haben Sie schon einmal während eines Stücks mit anderen Zuschauer*innen Memory auf einer Theaterbühne gespielt? Und sich 30 Minuten später in der immersiven Kraft des nächsten Stücks verloren? Beim TanzHochDrei-Festival war genau das möglich.

Hamburg, 31/03/2023

Jedes Jahr bietet K3 – Zentrum für Choreografie in Hamburg drei Choreograf*innen aus aller Welt eine achtmonatige Residenz auf Kampnagel an. Im März werden schließlich die sich aus der künstlerischen Forschung und Probenphase ergebenden Abschlussarbeiten im Rahmen des TanzHochDrei-Festivals präsentiert. Nach den überaus starken Arbeiten von Gloria Höckner, Clarissa Sacchelli und Venetsiana Kalampaliki im vergangenen Jahr (sh. tanznetz vom 02.04.2022) waren die Erwartungen an den diesjährigen Jahrgang hoch – und wurden keinesfalls enttäuscht.

Den Anfang machte Aloali’i Tapu aus Aotearoa/Neuseeland. In seinem episodenhaft aufgebauten Stück „Manu Malo“ verwebt der samoanische Bühnen-, Design- und Tanzkünstler, der im Übrigen für seine Arbeit als Tänzer für Christoph Winkler mit dem FAUST-Preis des Deutschen Bühnenvereins ausgezeichnet wurde, Sprache, Gesang, Tanz und Videoprojektionen, dabei stets changierend zwischen Melancholie und Lebensfreude, Zärtlichkeit und Ekstase. Traditionelle Tänze treffen auf Urban Dance und werfen ein berührendes Bild zeitgenössischer Menschen auf, die in Träumen über ihren Ursprung und ihre Heimat schwelgen. Die Performer*innen auf der Bühne sind Familienmitglieder Tapus, Freund*innen oder Gäste aus Samoa, Aotearoa/Neuseeland oder Hamburg, die persönliche Nähe zueinander ist ob einer intimen Atmosphäre im Theaterraum der K2 deutlich spürbar. Schade ist nur, dass sich dagegen entschieden wurde, die doch sehr häufigen Textpassagen und Songs nicht zu übertiteln. Gerne möchte man als Zuschauer*in den Geschichten der Performer*innen folgen, versuchen, ihre Emotionen besser zu verstehen, um stärker in die intime Stimmung eintauchen zu können. Somit begeistert „Manu Malo“ das Publikum auf formaler und ästhetischer Ebene, reizt sein inhaltliches Potential aber nicht ganz aus.

Selten wird der Produktionsprozess des Theaters so selbstkritisch, humorvoll und sympathisch auf die Metaebene eines Theater- oder Tanzstücks gehoben wie in Eng Kai Ers „Cat Broccoli Bed Hammer“. Zu Beginn des Abends betritt die Choreografin und Performerin aus Singapur die Bühne mit den Worten: „There is no show tonight. You can go home!“ Die verschiedenen Eigenheiten und Bedürfnisse ihrer Teammitglieder – so erzählt sie weiter – hätten den Probenprozess beinahe unmöglich gemacht. Derartige Geständnisse seitens der Choreografin durchziehen den in jeglicher Hinsicht ungewöhnlichen Theaterabend. Herzzerreißend und zugleich urkomisch stellt sie später ein Luftkissengebilde vor, das sie „Brokkoli“ nennt und mit dem sie im Laufe des Probenprozesses einfach nichts anzufangen wusste und daran – wie an so vielen weiteren Elementen ihres künstlerischen Vorhabens – verzweifelte. Alle, die schon einmal Teil einer Theaterproduktion waren, werden sich hier wiederfinden, und alle, die Theater bisher nur von außen als Zuschauer*innen gesehen haben, gewinnen wertvolle Einblicke, wie nah Erfolg und Scheitern im Theater zusammenliegen. Das Schöne an „Cat Broccoli Bed Hammer“ ist, dass Eng Kai Er das Scheitern zum Programm macht und es ihr genau dadurch gelingt, einen unterhaltsamen und inspirierenden Theaterabend zu kreieren. Theater muss nicht die Welt neu erfinden, eine Utopie kreieren und das Leben der Menschen ändern. Eine bereichernde Erfahrung reicht vollkommen aus und das ist der wilde Mix aus Komik und Absurdität, dem ausgelassenen Spiel mit Rollbrettern und Fischrequisiten, abstrusen Märchenerzählungen, aber auch einem lyrisch getanzten Duett allemal. Zum Schluss gibt es „Freizeit“. Das Publikum spielt auf der Bühne der P1 gemeinsam Memory. Was will man mehr?

Ein Highlight ist dem syrisch-deutschen Performance- und Videokünstler Enad Marouf mit „And Now it Is Night“ gelungen. Das Bühnenbild auf der K1 ist simpel, aber ungemein effektvoll. Einem wandähnlichen Aufbau auf der rechten Seite ist hinten links eine metergroße Spiegelwand gegenübergestellt, über die weite Teile des Geschehens sichtbar gemacht werden. Erinnern soll diese hochästhetische architektonische Installation laut Programmheft an die nächtliche Altstadt von Damaskus. Zu melancholisch-traurigen Klängen bewegen sich die vier Performer durch den Bühnenraum, bleiben immer wieder stehen, beobachten sich aus der Ferne. Mal verstecken sich zwei hinter der Wand, nur über den Spiegel ist zu sehen, wie sich beide möglichst unauffällig annähern und doch versuchen, sich der Annäherung zu widersetzen. Es passiert nicht viel und doch passiert eine ganze Menge. Die subtile sexuelle Spannung erfüllt den Raum, ein Gefühl queerer Begierde, der in der Öffentlichkeit aber nicht nachgegeben werden kann. Und so zieht sich diese performative Raumanordnung, die in ihrem Zusammenspiel aus alltäglichen Bewegungen und Spiegelwänden in einigen Momenten an Maguy Marins gefeiertes „Umwelt“ erinnert, beinahe unendlich in die Länge.

Doch plötzlich ein Bruch. Das Licht färbt sich tiefrot. Endlich ist es Nacht und die Spannung entlädt sich in einem energiegeladenen, zutiefst sinnlichen gemeinsamen Tanz der vier Performer. Flamenco- und Discoelemente werden eingewoben, Hemmungen und Vorsicht werden fallengelassen, der Tanz steigert sich fast hin zur Ekstase.

Das Ende ist zwar erwartbar, dadurch aber nicht minder niederschmetternd. Plötzlich ist die Nacht ist vorbei, offenbart sich als Traum oder Utopie und geht verloren. Die Performer ziehen sich zurück in ihre vorsichtige, beobachtende Haltung. Und doch finden sie am Ende hinter dem Schutz der Wand noch einmal zusammen und nähern sich zärtlich einander an. Auf der Oberfläche muss das queere Begehren vertuscht werden und doch wissen wir alle, dass es da ist und durch keine feindlichen Kräfte überwindbar ist. Ein starkes Schlussbild!  

Alle drei Arbeiten sind vom 21. bis 23. April noch einmal online zu sehen. Weitere Infos dazu unter https://www.k3-hamburg.de.
 

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