„De_Coding Game Over“ von Mab Cardoso. Tanz: Luana Madikera

„De_Coding Game Over“ von Mab Cardoso. Tanz: Luana Madikera

Zwischen Computerspiel-Nostalgie und Weltraum-Atmosphäre

„De_Coding Game Over“ von Mab Cardoso auf Kampnagel

Die brasilianische Choreografin entführt das junge Publikum in die Welt der Videospiele. Auf einer intermedialen Spielwiese werfen sich die Tänzerinnen im Kampf gegen das Scheitern von einer Herausforderung in die nächste.

Die Bühnensituation ist einfach erklärt. Luana Madikera als Avatar „Soul:Kera“ und Annabelle Behrendt als Avatar „Stiffkey Blue“ werden von einem Spiellevel ins nächste geworfen und müssen sich mal durch ihre Superkräfte, mal durch ihre Kampffertigkeiten und dann wieder durch das Erkunden der fiktiven Spielwelt „Metamikta“ behaupten. Aufgebrochen werden diese Level immer wieder durch das Auftreten – oder besser auf einem Hoverboard-Hereinfahren – der Choreografin Mab Cardoso, die in ihrer Aufmachung aus weißem Overall und Helm wie eine Mischung aus Astronautin und Rennfahrerin wirkt. Was folgt, ist die Ansage der nächsten Herausforderung über eine verzerrte Computerstimme und der Versuch der Avatare, die Aufgabe erfolgreich zu meistern.

Im Laufe der Performance wird jedoch immer klarer, dass der Erfolg nicht so ganz gelingen mag. Anfangs noch, als sie sich ihre Avatare inklusive deren Superkraft (Erdbeben kreieren oder Wasser kontrollieren) aussuchen und die Bewegungsmuster und Fertigkeiten ihrer Figur austesten, treten die beiden Tänzerinnen zuversichtlich, selbstbewusst auf. Spätestens aber in Level 3 – „Explore Metamikta“, das trotz der Bemühungen seitens der Avatare einfach nicht enden mag, schleicht sich eine Vorahnung des Scheiterns ein. Da hilft es auch nicht, dass die Avatare mit einem schwarzen Polster hantieren, das durch eingesetzte Sensoren je nach Bewegung bedrohlich dumpf bis beinahe ekelerregend gurgelt, es hin und her werfen oder zwischen ihre Körper klemmen. Wie bereits zu Beginn des Abends erklingt der nervtötende Sound einer Alarmanlage und die Avatare werden in eine neue Atmosphäre geschleudert, anstatt in nächste Level vorzurücken.

Einen kollektiven, selbstermächtigenden Moment haben die Avatare dann vor dem Ende des Spiels aber doch noch. Mit trommelnd aufstampfenden Füßen, weich wirbelnden Armen und wippenden Hüften zeigen sie sich ihre Bewegungsmuster, kopieren sich gegenseitig und starten im gemeinsamen Spaß eine unisono-Choreografie, die stark an virale Tik-Tok-Tänze erinnert. Plötzlich aber sind die beiden Avatare weg, nur die Astronautin/Rennfahrerin taucht noch einmal auf, stürzt von ihrem Hoverboard, versucht sich in die Dodekaeder-förmige Kapsel auf der linken Seite der Bühne vor einem äußeren Angriff zu retten und wird immer wieder von unsichtbaren Kräften zurückgeworfen. Die bereits zuvor auftauchende und sich dann ständig morphende Projektion, die in der Kombination leuchtender Linien zunächst an irgendetwas zwischen chemischen Verbindungen und Strichfiguren erinnert hat, bildet nun zwei Worte, den Ausgang des Spiels für die Avatare und somit auch den Titel des Stücks: GAME OVER.

Es ist eine ungemein spielerische und in der Verwendung und Komposition intermedialer Mittel neue ästhetische Räume öffnende Arbeit, die die brasilianische Choreografin Mab Cardoso in Kooperation mit K3 – Tanzplan Hamburg hier auf die Bühne der P1 auf Kampnagel gebracht hat. Weniger einer stringenten, sondern eher einer Nummerndramaturgie folgend, kreiert das Zusammenspiel von elektronisch-sphärischer Musik, technisierten Soundscapes, leicht stilisierter, an Computerspielfiguren angepasster Bewegungssprache, dem auf geometrische Figuren basierten Bühnenbild und den durch Motion Capturing übertragenen 3D-Videos eine stimmige Alternativwelt zwischen warmer Computerspielnostalgie und kalter Science-Fiction-Weltraumatmosphäre.

Gerahmt wird die Produktion durch einen liebevoll gestalteten, digital abrufbaren Comic und die schöne Möglichkeit für die jungen Zuschauer*innen ab 12 Jahren, beispielsweise die Sensoren-Technik des im Stück verwendeten schwarzen Polsters auszuprobieren. Ob diese Elemente allerdings nicht nur bei einem 25-jährigen Rezensenten, sondern bei der eigentlichen Zielgruppe gut ankommen, sollen die Jugendlichen lieber selbst entscheiden.


Weitere Vorstellungen: 08. und 09. Dezember, 11 Uhr, 10. Dezember, 16 Uhr; Kampnagel Hamburg

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