Meg Stuart „All The Way Around“

Meg Stuart mit Doug Weiss (Kontrabass) und Mariana Carvalho (Klavier): „All The Way Around“

Kaleidoskop der Emotionen

Meg Stuart & Doug Weiss zu Gast bei ImPulsTanz

Seit 1994 – fast dreißig Jahren – wird die US-Amerikanerin Meg Stuart zum ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival eingeladen und begeistert ihr Publikum mit vielfältigen interdisziplinären Produktionen. So auch in diesem Jahr mit „All The Way Around“ als Österreichische Erstaufführung.

Wien, 21/07/2023

Auf sprichwörtlich der ganzen Welt ist die preisverwöhnte Tänzerin und Choreografin Meg Stuart zuhause – eine der fraglos bedeutendsten Repräsentantinnen zeitgenössischen Tanzes der Gegenwart. Ihre Tanzausbildung erhielt sie einst in New York und ihre Weltkarriere startete sie schließlich von Belgien aus, wo sich mit Brüssel bis heute ihr zweites Standbein und ihr Lebensmittelpunkt neben Berlin befindet. Auch in Wien war Meg Stuart mit ihrer eigenen Kompanie Damaged Goods wiederholt zu Gast und eroberte sich die Herzen ihres treuen Wiener Publikums.

Mit „All The Way Around“, Teil des diesjährigen ImPulsTanz in Wien, legte Meg Stuart einen intimen tänzerischen Soloabend hin, der sich aber alsbald als spannende Ménage-à-trois mit den beiden renommierten Musiker*innen Doug Weiss (Kontrabass) und Mariana Carvalho (Klavier) herausstellte, in dem sich die drei kongenialen Künstler*innen nicht nur auf Augenhöhe begegneten, sondern die nackte Bühne des Theaters auch mit reichlich Interaktion belebten und räumlich teilten.

Immer wieder treten die drei Künstler*innen in unterschiedlichen Konstellationen miteinander in Dialog und reagieren als feinabgestimmtes Dreiergespann subtil aufeinander – dabei verlässt vor allem Tänzerin Meg Stuart wiederholt ihren selbstgesetzten Mikrokosmos, ihr selbstgestricktes Netz aus Gedanken und Erinnerungen und gleitet in die Welt des vermeintlich Privaten wie auch Erreichbaren hinüber, um dann nur wieder erneut den Eindruck von Distanz zu ihren Zuschauer*innen aufzubauen.

In dem fünfteiligen als Ballade aufgebauten Stück folgt Stuart ganz klaren unterschiedlichen Mustern, die zwischen Fokussierung auf den sich bewegenden Oberkörper und präzisen Armen, über intensive Bodenarbeit, Schrittfolgen, furiosen Sprungmustern in River-Dance-Manier bis hin zu kleinteiligen und sich gleich maschinell immer wiederholenden Gesten variieren. Die Tänzerin wirkt hier gewohnt klar und intensiv in ihrer puristischen Bewegungssprache, dabei aber keineswegs kühl und unnahbar, sondern gerade extrem vulnerabel und störanfällig für Manipulationen und Außeneinwirkung.

Fast sinnbildlich wird die vermeintliche ‚Ordnung‘ des künstlerischen Trios zerstört, wenn die Künstler*innen beginnen, die Saiten der Instrumente auseinanderzureißen und gleich Gedärme aus den ‚Bäuchen‘ der Instrumente zu ziehen – dies verursacht nicht nur ungewohnte Klänge, sondern ruft auch verstörende Assoziationen hervor. Überhaupt hält die Tänzerin in ihrer Choreografie ein ganzes Kaleidoskop an Emotionen bereit, gräbt tief in den subjektiven Erinnerungen ihrer selbst und vermischt bewusst Gegenwärtiges mit Vergangenem, Traumatisches mit Erträumtem, Irreales mit gelebter Wirklichkeit und reißt ihr Publikum in diesen zuweilen monströsen Strom an Gefühlen und unendlichen Erinnerungsspuren einer reifen Künstlerin mit.

Die Instrumente der beiden Musiker*innen verselbständigen und personifizieren sich, werden zu Tanzpartner*innen oder auch zu zentralen Bühnenbild-Elementen, wenn der schließlich auf dem Boden liegende Bassist sein schweres Instrument zärtlich auf seinen Knien balanciert – es gleichsam nicht nur zum Schwingen und Klingen, sondern auch zum Schweben bringt – oder wenn der in die Jahre gekommene Bösendorfer-Flügel die zierliche Musikerin zu verschlucken droht, in deren Untiefen sie sich ganz buchstäblich hervorwagt und in dessen Hohlraum nahezu verschwindet. Sehgewohnheiten werden hier bewusst in Frage gestellt, Ordnungen umgekehrt.

Beim fulminanten Finale des einstündigen Konzerts löst sich allerdings Disharmonie in Harmonie und Verstörung in Einklang auf – das künstlerische Trio entlässt sein gebanntes und begeistertes Publikum mit wohlklingenden Jazztönen und zugleich dem guten Gefühl in den lauen Wiener Sommerabend, auch dieses Mal bei einem eindringlichen und besonderen Theaterereignis dabei gewesen zu sein und wird hierfür mit reichlich Applaus belohnt.

Weiter ging‘s im Anschluss an die kurzweilige Vorstellung – wer mochte – dann noch auf ein oder zwei Topfenknödel zum 33. Film Festival an den Wiener Rathausplatz, um Edward Clug’s choreografisches Meisterwerk „Peer Gynt“ mit Künstler*innen des Wiener Staatsballetts und der Wiener Staatsoper (Aufführungsjahr 2018) kostenfrei auf Großleinwand zu bestaunen – so schön kann der Tanz- und Festival-Sommer in Wien sein, gerne mehr davon!

 

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