Goecke geht nach Basel
Marco Goecke folgt dort planmäßig auf Adolphe Binder
Eingerahmt von Schläpfers rustikal-humorigen „Appenzellertänzen“ und Kurt Jooss' legendärem Antikriegsballett „Der Grüne Tisch“ ging die nordrhein-westfälische Erstaufführung von Marco Goeckes „Le Spectre de la Rose“ bei der umjubelten Präsentation durch sechs Vasallen in edlem Rot-Schwarz und ein weitgehend „naturbelassenes“ Paar (Kostüme: Michaela Springer) über die Bühne des Theaters Duisburg.
Eigentlich müsste diese knapp halbstündige Choreografie des Stuttgarter Meisters tänzerischer Muskelspiele „Beherrscher der Geister“ heißen. Denn Goecke hat Mikhail Fokins Gala bewährtes „Choreografisches Bild“ von der Traumromanze eines Mädchens nach einem Ball mit dem Geist der Rose auf Carl Maria von Webers „Aufforderung zum Tanz“ um dessen Ouvertüre „Der Beherrscher der Geister“ erweitert. Dienstbare Geister des um die Schöne werbenden Meisters (mit sinnlichen, rot samtenen Armstulpen) tauchen aus dem finsteren Off auf, streuen verschwenderisch Rosenblüten, zittern und hüpfen diensteifrig ganz im Takt der Musik – verschwinden diskret im Dunkeln. Das Paar – Mariana Dias und Bruno Narnhammer – zelebriert herzklopfende Erwartungen des Mädchens, Annäherungen und engumschlungene Kopulation im Walzertakt mit makelloser technischer Virtuosität à la Goecke. Jeder Muskel zuckt, Hände zittern und flattern, Dias' Körper ruckt und fiebert. Dominanz signalisieren Narnhammers Umarmungen und das „schickliche“ Umfangen zum (damals, im 19. Jahrhundert, unschicklichen) Gesellschaftstanz. Ein düsterer, sinnlicher Nachtmaar von vibrierender Liebessehnsucht zwischen gestern und heute, perfekt getanzt von acht Mitgliedern des Ballett am Rhein in der Einstudierung von Giovanni Di Palma und Fabio Palombo.
Wie Tanz Heimatgefühle bitter-süß aus der Distanz artifiziell verfremden kann, das hat Martin Schläpfer mit seiner Choreografie in sieben Bildern über das Appenzell 2009 formuliert. Die Duisburger Neueinstudierung der „Appenzellertänze“ besorgte Remus Şucheană. Weidezäune, durch die die Kuhglocken-laute Almauftrieb-Prozession wandert, schweben später nach oben. Die Pfosten spenden der Almhüttenstube karges Licht, wo die Sennerin (Marlúcia do Amaral) sinnt, bis der Hüne (Marcos Menha) sie „nimmt“. Später wird sie in der Kneipe leichte Beute leichtsinniger Burschen, während Cassie Martín sich als ein fröhlicher Springinsfeld mit weiten Sprüngen an der Natur erfreut. Unter Heubündeln ächzen Yuko Kato, Boris Randzio und Yoav Bosidan. Die kurze Rast dient zum „Quickie“ für zwei, während der Dritte seufzend das Heu bewacht. Die Bergketten malt Ausstatter Thomas Ziegler als stilisierte Silhouetten auf den Rückprospekt. Davor spielt ein großes Kind (Pedro Maricato) mit einer Pappmaché-Kuh – bis Claudine Schoch spielerisch-raffiniert Spielzeug und Kind-Mann erobert.
Die Aktualität von Kurt Jooss' politischem Statement von 1932 über die weltbeherrschenden Herren (und Damen hinter kühl kalkulierenden männlichen Masken!) ist ungebrochen. Eingangs- und Endszene vom „Grünen Tisch“ erinnern gerade eben an die deutschen „GroKo“-Verhandlungen – glücklicherweise mit weitaus positiveren Themen als Jooss' „schwarze Herren“ sie affektiert und Pistolen-bewehrt diskutieren. Jeanette Vordersaar hat das Erbe von Jooss-Tochter Anna Markard angetreten. Ihre Einstudierung des Totentanzes in acht Bildern atmet ungewohnte Frische und Natürlichkeit. Das Pianisten-Duo Christian Grifa und Wolfgang Wiechert wird sich im Laufe der Aufführungsreihe sicher noch ein exakteres Zusammenspiel erarbeiten.
Mit Sensibilität und Respekt für die Erwartungen des Publikums hat Martin Schläpfer auch die Duisburger Fraktion der Deutschen Oper am Rhein für sein Ballett am Rhein gewonnen.
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