Wenn wir zu Elfen, Feen, Monstern werden

Billinger & Schulz erforschen in „Unlikely Creatures (1) who we are“ die Verkörperung fantastischer Kreaturen

Im Forum Freies Theater in Düsseldorf tun sich Traumwelten auf, in außerordentlicher Präzision und doch mit viel Spielraum für eigene Assoziationen.

Düsseldorf, 30/01/2016

Bei des Feuers mattem Flimmern,
Geister, Elfen, stellt euch ein!
Tanzet in den bunten Zimmern
Manchen leichten Ringelreihn!

(Oberon in Shakespeare, „Ein Sommernachtstraum“)

Am Anfang sieht es aus, als übten sie noch. Aber am Anfang aller Tage, als Gott Himmel und Erde schuf, übte er vermutlich auch noch. Dann erschuf er die merkwürdigsten Lebewesen - und am Ende warf er die Menschen aus dem Paradies. - Auch die fünf Performer von Billinger & Schulz erschaffen nach und nach die seltsamsten Kreaturen. Aber am Ende landen sie im Paradies. An einem traumschönen Zauberort jedenfalls, im Lustgarten des William Shakespeare oder im Märchenwald unserer Kindheit. Am Anfang machen die Jungs und Mädels unbeholfene Tanzbewegungen, doch irgendwann entfliehen sie unserer prosaischen Welt und lassen Leid und Mühsal hinter sich. Und sind doch noch: sie selbst, die Tänzer.

Trockenübungen, Ballettausbildung, 1. Lektion, so fängt alles an. Mal ohne Musik, mal mit. Dann Männer im Gleichschritt, Judith Wilhelm beginnt zu tanzen, zu ersten Beats, zu elektronischer Musik. Langsam, so scheint es, tastet sich die Aufführung voran auf dem Weg zu zeitgenössischem Tanz. Mimik und Bewegungsablauf wirken feierlich ernst, obwohl man vorübergehend den Verdacht schöpft, manches könne vielleicht ironisch gemeint sein. Kurz scheint eine Buddha-Figur auf der Bühne zu sitzen; dann kostümiert sich Jungyun Bae als Manga-Mädchen. Die Performer machen erste Schritte fort aus dem bekannten menschlichen Dasein. Noch ließe sich an normale Verkleidungen denken oder, wenn die Tänzer sich zu einem Akrobatik-Ensemble formieren, an einen Zirkus. Doch mit zunehmender Dauer des Abends werden die Figuren immer phantastischer, immer rätselhafter, immer weltabgewandter. Gleichzeitig wirkt der Tanz immer professioneller. Es ist ja wahr: Tänzerinnen und Tänzer auf der Höhe ihres Könnens sind ja auch irgendwie „Unlikely Creatures“.

Zigmal werden sie sich umkleiden auf der Bühne. Rechts und links liegen die Kleider, in die sie schlüpfen, während andere gerade ihren performativen oder tänzerischen Auftritt haben; vorn finden sie Farbtöpfe, mit denen sie zunächst einzelne Körperteile, später ihre gesamte nackte Gestalt färben. Statuen, versteinerte Schönheiten drehen sich wie auf einem rotierenden Podest, auf dass man sie von allen Seiten bewundern kann. Später treten alle möglichen Fabelwesen auf: Trolle, Geister und Kobolde, Feen, Faune und Elfen, Nymphen und kleine Monster. Ariel und Caliban lassen sich assoziieren, all die anderen dienstbaren Geister des Inselherrschers Prospero, auch Puck und seine „fairies“ aus dem „Sommernachtstraum“. Ludvig Daae färbt sich am gesamten Körper tiefschwarz und führt mit einem hübschen, charismatischen schwarzen Kobold jede Blackfacing-Debatte ad absurdum; Figuren mit um den nackten Körper gewundenen Lichterketten schaffen beim Tanz magische Effekte. Nicolas Niot ruckt als geheimnisvoller, bunt beschmierter König des Waldes durch die Szene, während Judith Wilhelm eine schlanke, zarte grüne Fee abgibt. Ein wunderhübsches Geschöpf, aber wer weiß: vielleicht ist sie ja auch die Tochter des Dovre-Alten, des Trollkönigs aus Ibsens „Peer Gynt“, und wir sollten uns besser fernhalten von der verführerischen Grünen. Zuckende Automatenmenschen ruckeln über die Bühne – nicht alle sind Geschöpfe einer harmonischen Zauberwelt, manche mögen auch in ihrem so fremd (in manchen Fällen auch miss-) gestalteten Körper gefangen sein und auf den einen oder anderen Zuschauer gruselig wirken. Doch gern lassen wir uns mitnehmen in diese geheimnisvolle Welt, die zumeist fröhlich und harmonisch wirkt und wunderschöne Bilder schafft. In diesem Märchenwald könnten wir vielleicht den Ängsten und Sorgen unseres Alltags entrinnen; vielleicht müssten wir aber auch zunächst ähnlich gefährliche Abenteuer bestehen wie Alice im Wunderland.

‚Wer sind wir’ und ‚Was ist normal’, wollen Billinger & Schulz in diesem ersten Teil ihrer Performance-Reihe „Unlikely Creatures“ fragen, und: ‚Warum geht der Mensch nie ganz in seinem Bild auf?’ – Tatsächlich, die üblichen Regeln für den Menschenpark gelten in dieser Welt nicht, so wenig wie bei Lewis Carrolls „Alice“. Aber die Regeln für den Tanz – sie gelten in herausragender Weise: Mit außerordentlicher Präzision bewegen sich die fünf Performer im Rhythmus der Musik, die vor allem aus Beats und Elektropop besteht, aber auch einmal Anklänge an afrikanische Trommelrhythmen hören lässt – und immer wieder Störgeräusche, so wie auch die Schönheit der Bilder immer wieder gebrochen wird. Getanzt wird viel an diesem Abend, was bei zeitgenössischen Tanzperformances ja keineswegs mehr erwartet werden darf. Kostümbildnerin Caroline Creutzburg, die wohl auch für die Bodypaintings verantwortlich zeichnet, schöpft die ganze Bandbreite ihrer Kunst aus: Sie steckt die Performer mal in züchtige Kleidchen, mal zitiert sie Transgender-Motive, und immer wieder stellt sie durchaus provokativ die Nacktheit der Körper aus, bevor die Tänzer sich mit den hübschen poppigen Signalfarben bemalen.

Gerade wurden Verena Billinger und Sebastian Schulz als eines der vielversprechendsten und innovativsten Choreografenduos Deutschlands zur „Tanzplattform Deutschland“ eingeladen, die vom 02. bis 06. März in Frankfurt/Main stattfindet. Sie zeigen dort ihre vorhergehende Produktion „Violent Events“, in der sie schonungslos die Faszination der Gewalt und die Folgen der Gewaltbereitschaft erforschen. Mit dem ersten Teil von „Unlikely Creatures“ haben sie wieder ihre romantische Seele entdeckt und vorwiegend schöne Bilder geschaffen, ohne jemals in den Kitsch zu verfallen. Gespannt warten wir auf die Fortsetzung der Reihe.

nächste Vorstellungen am 23. / 24. April 2016 im Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt/M.

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