Für Freunde, Fans und alle, die neugierig geblieben sind

Pina Bauschs erste Jahre in Wuppertal „backstage“ in einem opulenten Fotoband

Alles war neu in Wuppertal, in den Jahren 1974 und 1975. Dass diese Fotos etwas dokumentieren, woraus ein Weltereignis wurde, konnte sich damals niemand vorstellen.

Wuppertal, 05/10/2014

Man kann es sich gut vorstellen wie Fans und Freunde, Tänzerinnen und Tänzer, Mitarbeiter oder Bekannte von Pina Bausch beim ersten Blättern immer wieder sagen, das sei doch der, das sei doch die, das war doch dann, oder wann war denn das. Und wenn dann die Meisterin selbst auf einem der insgesamt 130 Fotos in schwarzweiß zu sehen ist, dann mag sich der eine oder die andere daran erinnern, was sie in diesem Moment gesagt haben mag, oder auch nicht, was man verstanden hat oder auch nicht, woran man heute noch rätselt.

Spätestens beim zweiten Blättern dringt man vor bis zum Index: alle Fotos in kleinem Format nochmal, dazu die Namen, die Anlässe, die Stücke, die gerade geprobt wurden oder deren Ausschnitt in einer Werkstattveranstaltung zu sehen ist.

Alles war neu in Wuppertal, in den Jahren 1974 und 1975. Dass diese Fotos etwas dokumentieren, woraus ein Weltereignis wurde, konnte sich damals niemand vorstellen. Aber man ahnte es und holte den Textilingenieur KH. W. Stecklings, der sich als Fotograf - mehr aber als Fachmann in Sachen der frühen Geschichte der Fotografie - einen Namen gemacht hatte.

So entstanden, fast ausschließlich in Probensituationen, an die 1200 Fotos, die vergessen wurden - manche, so erfährt man, wurden nie abgezogen. Wenige wurden damals in den entsprechenden Programmheften abgedruckt, die meisten aber waren weg. Durch Zufall sind sie wieder ans Licht gekommen. Zu diesem Anlass wurde eine Auswahl für einen Bildband getroffen, den Stefan Koldehoff in Kooperation mit der Pina Bausch Foundation herausgegeben hat. Für die Foundation hat Salomon Bausch das Vorwort geschrieben, Nora und Stefan Koldehoff sind die Autoren des ausgesprochen lesenswerten Essays „Für das Leben eine Sprache finden“, in dem man etwas darüber erfährt, wie der Fotograf seine Aufgabe verstand. Stecklings hat keine der Aufführungen gesehen, er hat auch keine Fotos von Aufführungen gemacht, er hielt Momente davor fest.

Wer in diesen Fotos den künstlerischen Anspruch, etwa in Sachen Porträtkunst, Bildausschnitt oder ähnlichem sucht, könnte enttäuscht sein. Es sind mitunter „Schnappschüsse“ im besten Sinne des Wortes. Aber wer genau hinsieht, kann erkennen, dass hier diffuse Momente festgehalten worden sind, in denen etwas von dem entstanden sein könnte, was später die Tanzwelt reformierte. Vor allem spürt man, dass weder die fotografierten Tänzerinnen und Tänzer noch Pina Bausch selbst gewusst haben mögen, wohin sie dieser Tanz, der seine Kraft aus der Kreativität des Ungewissen bezieht, führen werden würde. Der erwähnte Essay führt Bausch und Stecklings auf einem künstlerischen Weg zusammen. Für beide galt wohl, immer auf der Suche zu sein, nach dem, was man nicht kennt.

Nach mehrmaligem Ansehen der Fotografien, nach intensiven Erinnerungen an Begegnungen und Eindrücke in den Aufführungen von Pina Bausch - höchst lebendig werden jene, in denen sie selbst auf der Bühne stand, wie etwa bei „Café Müller“ - wird das verschwimmende Selbstporträt des Fotografen mit Maske aus dem Jahre 1986 zum Schlüssel der Betrachtung dieser Dokumente in schwarzweiß. Schwarz und Weiss, viele Grautöne, die Maske sieht dem Fotografen über die Schulter, das eigene Gesicht verliert sich in Umrissen. Etwas von dem, was Stecklings in den Jahren bei Pina Bausch wahrnahm, hat Spuren hinterlassen.



Die Wiedergabe der Fotografien in angemessenen Formaten haben optische Qualität, Unschärfen gehören dazu. Es gibt biografische und künstlerische Informationen zum Fotografen, Angaben zu seinen Filmen und Ausstellungen in Auswahl und Angaben zu seinen Büchern. Das letzte, „Leichtender Stein. Die Geschichte der Lithographie vom 18. bis ins 20. Jahrhundert“, ist gerade in Dresden erschienen.


KH. W. Stecklings: Pina Bausch backstage, erschienen in Kooperation mit der Pina Bausch Foundation, Nimbus Verlag 2014 (36 Euro, ISBN 978-3-907142-99-8)

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