Tschaikowsky hoch drei - Steigerung oder Absturz

„Magifique“ packt Suiten Dornröschen-Schwanensee-Nussknacker zusammen

Lüneburg, 11/12/2012

/img/redaktion/magifiquearthaus.jpg Was läge näher als eine „Nussknacker“-DVD zu Weihnachten schenken? Aber diesmal etwas anders als sonst: eine Version mit wenig Handlung, gewissermaßen eine Sparversion in den Zeiten der Wirtschaftskrise, ohne prächtige Kostüme und ohne Spitzentanz. Die Adaption von Thierry Malandain ist in dieser Hinsicht außergewöhnlich. Malandain stellt „Dornröschen“ und „Schwanensee“ dem „Nussknacker“ hinzu, vereinigt die drei Kompositionen Tschaikowskys zu seinem Ballett „Magifique“: zum Ärgern, (Ver-)Wundern und zum neuen Hören und Sehen. Spiegel auf der Bühne suggerieren Fülle, ermöglichen schnelles Verschwinden und Auftreten. Die mobile Stange wird aus dem Schattendasein als bloße Stütze herausgeholt: Die mobilen Stangen dienen als Spielgeräte zum Drunterkriechen, Dranhängen, Schwingen wie am Barrenholm, zur Aufteilung des Bühnenraumes und vertikal gestellt als Ausguck.

Darauf muss man erst mal kommen. Spärlich die Kostüme mit wenig Stoff „Ich mag es,“ sagt Choreograf Malandain, „dass man den Körper sieht, und bevorzuge deshalb ein Minimum an Kleidung.“ So ergeben u.a. schwarze schenkellange Oberteile für die Frauen, ornamental ausgestaltete, eng anliegende Leibchen bei den Männern und Frauen, Slips, nackte Beine tatsächlich eine direkte Körperlichkeit, eher muskulös als erotisch.
Der Leiter des Malandain Biarritz Ballet verwendet natürlich nicht die kompletten Tschaikowskykompositionen, sondern die wesentlich kürzeren Suiten (insgesamt etwas über eine Stunde), aus der Tonkonserve, robust vital interpretiert vom Bolschoi Symphony Orchester unter der Leitung von Alexander Lazarewisi.

Malandains Ensemble präsentiert sich mit guter Technik und Kondition, die athletische Leistung ist durchaus beeindruckend. So lohnt sich allein schon die Beobachtung der 16 Tänzer/innen. Schade, dass sie mangels Rollen nicht identifizierbar sind. Das klassisch grundierte Bewegungsmaterial, durch Repetition auf zeitliche Länge gebracht, wird mit modernen Anklängen durchbrochen, die allerdings trotz Bodenarbeit kaum der Rede wert sind. Auffallend sind die à la van Manen diagonal hoch zur Seite geführten Arme. Die Hebungen schnurren fließend ab, ob kraftvolles Männerduo (Kleiner-Großer) oder übliches Mann-Frau-Paar. Sie schließen sich nur selten zu einem größeren Bogen. Viel Schreiten reduziert die Dynamik, wie beim vorwärts und rückwärts ablaufenden Defilée zum Marche in „Nussknacker“, einer schwachen Parodie auf die repräsentative festliche Form.

Beispielhaft für „Magifique“ steht schon der Beginn von „Dornröschen“: Die pathetische Kraft der Introduktion mit ihren dramatischen Zuspitzungen wird nicht aufgenommen, das Ensemble postiert die Stangen, turnt daran herum, gefolgt von einem Männer-Pas-de-deux auf, unter, an den Stangen. Im „Schwanensee“ tanzen Männer die vier kleinen Schwäne als eine Comedy-Szene mit schalem Körperwitz, z.B. Arme erhoben mit abgewinkelter Hand wie ein Vogelschnabel, die Füße drehen und wenden sich auf einem bespiegelten Kasten, hinter dem die unsichtbaren Tänzer ihre Beine hochrecken. Die Zuckerfee-Nummer des „Nussknackers“ wird von einem ansehnlichen Mann zur Celesta vertanzt, vor Spiegelwänden, mit Cabriole und weiteren Schritten dieser Art gewürzt. Der Zauber der Musik wird ignoriert. Zu einer Groteske wird der Chinesische Tanz verzwirbelt, zur Ouverture miniature wird eine Art Machogehabe demonstriert, was die spielerische Leichtfüßigkeit der Musik nicht aufnimmt. Zum Schluss werden die einzelnen Spiegel zu einem Spiegelkasten zusammengestellt, um den das Ensemble schwirrt, bis zum finalen Orchesterschlag alle bis auf zwei veschwunden sind. „Magifique“ ist weder magnifique, noch magique, aber amusant und stimulant, besonders wenn man das Geschehen verfolgt mit den parallel im Kopf ablaufenden Bildern der originalen Produktionen des drei Tschaikowsky-Balletttrios.

Thierry Malandains „Magifique“ ist bei Arthaus erschienen und für ca. 29.99 € erhältlich.

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