Rasend vor Liebeskummer

COCOONDANCE Bonn zeigt „Orlando – Scrapped“

Bonn, 19/05/2009

Es ist die Story des fränkischen Ritters Orlando, Orlando furioso, dem rasenden Roland. Ariost hat sie 1504 zu schreiben begonnen, Italo Calvino hat sie 2004 nacherzählt und das Tanzensemble COCOONDANCE Bonn setzt nun eine spektakuläre Episode davon in ihrem neuen Stück „Orlando - Scrapped“ auf tänzerische Weise um. Entstanden ist ein ganz außergewöhnliches Tanzstück in einer modernen Bewegungssprache, das mit erzählerischen Elementen arbeitet, ohne die Story nachzuerzählen. Choreografin Rafaële Giovanola steigt vielmehr hinab in die Seelenräume ihrer Protagonisten, um dort nach Handlungsmotiven zu suchen. Wegen einer unerwiderten Liebe den Verstand verlieren, darüber „rasend“ werden, das ist zeitlos. Aber deshalb gar Kriege anzuzetteln, das geht selbst Orlandos Freunden zu weit.

Die Suche nach dem Verstand des Unglücklichen beginnt und damit eine tänzerische Abfolge unterhaltsamer, spannender, manchmal lustvoll karikierender, oft entlarvender Szenen über männlichen Chauvinismus und weibliche Verführungskunst. Da wird kokettiert und herausgefordert, Männer krähen, rufen nach der „next virgin“, galoppieren klappernd in Kämpfe, finden sich ab und zu in den Armen einer Frau, während die ihren Mund schon wieder einem anderen zum Kusse bietet. Raserei wird zum Bewegungsprinzip. Die Akteure sind im Ausnahmezustand: auf allen Vieren oder im Kopfstand. Elf Tänzer im Alltags-Outfit und die Mezzosopranistin Susanne Blattert im barocken Reifrock und Perücke buchstabieren die gesamte Palette des Geschlechterkampfes, der nicht antiquiert wirkt, weil die Szenen immer nah an der Orlando-Story bleiben. Choreografin Giovanola verzichtet auf Rollenzuweisungen und sagt damit: Jeder von uns kann Orlando sein. Dramaturgisch geschickt meistert die Inszenierung den Spagat zwischen gestern und heute, indem (auch musikalisch) an die historischen Motive angeknüpft und gleichzeitig das Allgemeingültige heraus gearbeitet wird. Jörg Ritzenhoffs eigenwillige Komposition greift dazu auf Händels Orlando-Oper zurück, legt aber auch mal ein verstörendes Knistern wie Funkstörungen über die Szenen.

Mit dieser erfolgreichen Premiere von „Orlando – Scrapped“ von COCOONDANCE Bonn hat das Festival „tanz nrw 09“ ein weiteres Highlight erhalten. Dem Kölner Publikum bescherte der tänzerische Städteaustausch zum Abschluss mit Henrietta Horns „Schimmer“ noch ein amüsant-verspieltes Solo, das weibliche Rollenzuschreibungen in überzeichneten Bewegungen karikierend entlarvt. Das Festival „tanz nrw 09“ hat auch in seiner zweiten Auflage gezeigt, dass eine klare Ausrichtung fehlt. Die Zersplitterung auf sieben Städte, ein Busshuttle nur für Fach- aber nicht für „Normal“-Besucher, die halbherzige Unterstützung durch die für Kultur zuständige Staatskanzlei und letztlich eine gewisse Beliebigkeit des tänzerischen Angebotes, haben manchen Platz auf der Tribüne unbesetzt gelassen. Schade für die beteiligten Künstler. Der freien Tanzszene NRW fehlt weiterhin eine angemessene und dauerhafte Präsentationsform.

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