Maximale Reize - minimale Reaktion

„Janclod! - Être aware and beyond“ von Jochen Roller auf Kampnagel

Hamburg, 12/12/2008

Hier der eine auf der Bühnenfläche in der Probebühne P1 auf Kampnagel, schmal wie ein Handtuch, Dreitagebart, Schlabberkleidung, asketisch, dort der andere als virtuelle Erscheinung auf der Leinwand, als fünf lebensgroße Pappfiguren in Karateposen, muskelbepackt, T-Shirt, enorm wie ein Wandschrank. Im Stück „Janclod!- Être aware and beyond“ könnte der Gegensatz nicht größer sein als zwischen Performer Jochen Roller und Jean-Claude Van Damme, ehemals Tänzer, dann Karate-„Held“ in diversen Actionfilmen mit ausgeprägten Kampfszenen. Maximalen Reizen durch extreme Körperkämpfe setzt Roller minimale Reaktionen entgegen, will so wohl den Gegensatz zwischen filmisch hoch geputschter Action und quasi alltäglichem Verhalten herausholen.

Vor sich hat Roller einen langen schmalen Tisch aufgebaut, parallel zum Bühnenrand, mit Utensilien von Toilettenspiegeln über Pflanzen bis zum kleinen Steuerpult für die Medien. Zwei Leinwände, eine kleine vorn rechts für die Texte, ein Mischmasch aus Französisch und Englisch wie „Le combat c’est entre your self“, hinten mittig die größere für die Filmausschnitte. Hinten links eine Tanzfläche, vorn eine Kiste mit Porträtfotos von Van Damme auf Stöcken. Auf die Form der Kampf-Choreografie, die brachial die Körper als Schlagflächen nutzt, antwortet Roller mit minimalen Reaktionen. Vor dem grotesk verstärkenden Mikrophon haut er mit der Faust auf die Innenseite eines Boxhandschuhs, zerkrümelt einen Keks, als Krachen übertragen. Bei “Dream dancing” zum Gesang von Fred Astaire (Auslöser ist der Ausspruch Van Dammes: „I am the Fred Astaire of Karate“) zeigt Roller Shuffle-, Sidesteps, als wolle er jeden Moment anfangen zu steppen – aber er tut’s nicht.

Ähnlich unterläuft er in seinen Reaktionen mit trockenem Humor weitere Grobreize: Roller imitiert gewollt unbeholfen aggressive Angriffsbewegungen aus einem Filmabschnitt wie bei der ersten Erarbeitung einer Choreografie. Zu einer brutalen Kampfsszene auf der Leinwand hüpft der Zigarette rauchende Roller ungerührt Seil. Nachdem Van Damme einem Gegner in den Schritt gestoßen hat, kämpft sich Roller in die Höhe auf schwarzen Spitzenschuhen, ohne Spann ein letztlich untauglicher Versuch wie das Erreichen der aggressiven Fitness Van Dammes. Den einer Person „versprochenen“ Spagat unterläuft er mit lakonischer Ironie, indem er einer der gesichtslosen Pappfiguren Van Dammes, die eine seitlich gekippte 180-Grad-Seconde zeigt, sein eigenes Porträtfoto aufklebt. Normalbürger und Actionstar sind eben zwei unvereinbare Welten.

Den Mimosen als Sinnbild sensibelster Reizempfindung zollt Roller Tribut, indem er einen Tanz präsentiert, der das Wuchern von Pflanzen im fließenden Zeitraffer darzustellen scheint. Jedoch ist Tanz nicht das alles bestimmende Ausdruckselement bei Roller. Eindeutig wird er dabei in den Schatten gestellt von einer eingespielten blauen Filmsequenz mit halb aus dem Dunkel geholten Gesichtern, Armen, Beinen, Oberkörpern, die sich auflösen in freie kinetische Formspiele, weit weg vom Kampf. Diese Faszination erreicht Roller in keinem Moment seiner neuen Produktion, in der er oft von Filmausschnitten aus dem Fokus verdrängt wird. Nicht jedoch bei seinem Bericht über einen Auftritt von 40 Jugendlichen, bei dem Reize zur Bedrohung umschlagen: Zwei schlagen sich – Einer rotzt dir mitten ins Gesicht - Verbale Drohungen – Verängstigtes Publikum. Als der einzige Schwarze unter ihnen beginnt zu tanzen, entspannt sich die Lage. „Beifall der Zuschauer“, erzählt Roller.

Applaus erhielt auch er nach den knapp 45 Minuten Dauer seiner Schau. Zu dem Zeitpunkt beschlich mich eher das Gefühl, jetzt müsste es erst richtig losgehen: Unfertig, work in progress, noch im Erprobungsstadium, nicht sorgfältig ausgearbeitet im dramaturgischen Ablauf. Rollers manchmal lässiger Sarkasmus bleibt ohne Saft und Spannkraft. Das Geschehen verplätschert weitgehend zusammenhanglos. Da bleibt ihm noch einiges zu tun.

Das offizielle KampnagelTube-Video zur Produktion.

www.jochenroller.de

 

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