Die unheilige Dreier-Allianz

Sandroni, Van Manen und Schläpfer im neuen Münchner Programm

oe
München, 12/04/2008

Zur Eröffnung der Ballettfestwoche 2008 im Münchner Nationaltheater drei Stücke, wie sie gegensätzlicher kaum denkbar sind: als Uraufführung „Cambio d'abito“ (was so viel wie Kleiderwechsel bedeutet) von Simone Sandroni, einem hierzulande unbekannten Italiener, dessen Geburtsjahr das sonst so informative Programmheft verschweigt – seine professionelle Karriere begann 1987 bei der belgischen Ultima Vez Kompanie von Wim Vandekeybus) – als Mittelpunktstück dann Hans van Manens 1973 entstandenes „Adagio Hammerklavier“ und als drittes Stück, ebenfalls eine Uraufführung, Martin Schläpfers „Violakonzert/II“ (nach seinem Mainzer „Violakonzert“ zur Musik von Alfred Schnittke aus dem Jahr 2002).

Im Programmheft spricht Ivan Liška, Chef des Bayerischen Staatsballetts, von „Adagio Hammerklavier“ als „Auge des Orkans“ – durchaus zutreffend, denn van Manens Stück erweist sich auch in dieser Neueinstudierung von Mea Venema als ein Ballettklassiker des 20. Jahrhunderts – eine wortlose Konversation unter sechs Tänzern, die hier Severine Ferrolier und Tigran Mikayelyan, Roberta Fernandes und Lukáš Slavicky, Lucia Lacarra und Cyril Pierre heißen – ein partnerschaftlicher tänzerischer Dialog mit der Musik von bestechender Klarheit, Reinheit und Folgerichtigkeit. Ein choreografisches Modell – wie Balanchines „Apollon musagète“. Merveilleux!

Sandronis „Cambio d'abito“ dagegen ist eine nicht unwitzige Verhohnepipelung der zugrundeliegenden Bach-Piecen für Violine und Klavier – weit entfernt von „Concerto Barocco“ samt Gefolge. Wesentlich mitbestimmt von rosalies kunterbunter Kostümausstattung aus dem Fundus. Wenn die wäschebestückte Farbwand herabrauscht, denkt man an James Ensor (ohne dessen Hintergründigkeit). Die sonstigen belgischen Bezüge gehen allerdings eher in Richtung Alain Platel und seines „lets op Bach“. Das ist eine italo-belgischer Ballett-Comic, bei dem man immer auf den Coup wartet, dass der Protagonist sein schamverhüllendes Handtuch fallen lässt – was er allerdings nicht tut. Auf jeden Fall eine gute Laune stiftender Eröffnungsknüller!

Problematischer allerdings Schläpfers „Violakonzert/II“ zu Sofia Gubaidulinas Musik (vom Bayerischen Staatsorchester und dem Solisten Dietrich Cramer unter der Leitung von Robertas Servenikas mit geradezu narkotischer Wirkung realisiert) – angeblich die erste Arbeit überhaupt für eine andere als seine eigene Truppe; ein großes Kompanieballett mit, wenn ich richtig gezählt habe, 31 Tänzern, darunter fast alle Münchner Tops mit Ausnahme von Lisa-Maree Cullum). Eine Musik, die sich wie eine Endlosschleife ins Gehirn bohrt. Von Schläpfer kaleidoskopartig in immer neuen Formationen benutzt, während sich in rosalies stahlvernetztes schwarzweißes Environment ein rotes Objekt drohend aus dem Schnürboden herabsenkt. Ein tänzerisches Mobile, bald in kleineren, dann wieder in größeren Gruppen, mal nur Männer, dann wieder die Frauen allein, nur selten sich zu kollektiven Blockbildungen zusammenfindend (auch auf Spitze) und dann einen unglaublichen Massensog bildend – immer wieder neu faszinierend, aber insgesamt doch eine eher additive Choreografie, die zu nichts führt.

Man wird das Gefühl nicht los, dass Schläpfer hier der Versuchung erlegen ist, abseits von Mainz einmal in die Vollen gehen zu können. Es ist eine Choreografie, der bei aller seismografischen Musikalität die von Balanchine bei seinem „Apollo“ gewonnene reife Erkenntnis fehlt, dass die größte Kunst die Kunst des Weglassens ist. Dreimal beweisen die Münchner Tänzer an diesem Abend ihre professionelle Kompetenz, auch mit den unterschiedlichsten stilistischen und technischen Anforderungen fertig zu werden – auch wenn sie nicht aus dem Dreierlei eine Allianz zu schmieden in der Lage sind.

 

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