Befreiungsschlag und Flugversuch

Mit der Bootleg Show geht das pvc Tanzfestival2 in Heidelberg zu Ende

Heidelberg, 18/04/2008

Entspannte Atmosphäre wo tags zuvor noch die Tribüne stand: Schummerlicht im Zwinger, kleine runde Tische und Stühle, in der Ecke eine Café-Bar, an den Wänden Videoprojektionen. Zahlreiche Gäste nippen am Getränk, plaudern angeregt, halten am letzten Tag des zweiten pvc Tanzfestivals Ausschau nach der optimalen Sicht. Bald wird sich herausstellen, dass es die eine, optimale Sicht nicht gibt, denn gespielt und getanzt wird auf drei Podien, einer Galerie, am Klavier und mitten zwischen den Leuten. Damit ihm nichts entgeht, muss der ideale Zuschauer für dieses Format beweglich, neugierig und permanent aufmerksam sein.

Mit der ersten Bootleg-Schau in Heidelberg rundet das pvc Tanzensemble sein kompaktes Minifestival ab. Ein fulminanter Schlusspunkt unter dem Motto „Die Vaudeville Show“, bei dem - angeleitet von den beiden pvc-Tänzern Murielle Elizéon und Tommy Noonan - elf Laien das Ergebnis einer zehntägigen Probenphase vorführen und, ganz en passant, den in Verruf geratenen Begriff des Dilettanten neu, und positiv definieren. Nicht der normierte Tänzerkörper, noch eine konventionelle Tanztechnik sind Voraussetzung, um sich für einen Auftritt zu qualifizieren, sondern Typen, die ein Hobby haben, in dem sie aufgehen und das sich mit Spaß am tanzen verbinden lässt.

„Ich will fliegen, fliegen!“ ruft die Sängerin in pinkfarbener Abendrobe. Sie breitet die Arme aus und wirft sich auf einen Stuhl. Angefeuert von der Improvisation einer Hobby-Saxofonistin, wiederholen sich die Flugversuche. Ein Kollege eilt herbei (der an anderer Stelle eine gewagte Break-Nummer zeigt), und stemmt sie in die Höhe, schließlich versammeln sich mehrere, mit deren Hilfe die Flugsüchtige über den Köpfen der Gäste durch den Raum entschwebt. Die Szene könnte einem Tanztheaterabend von Bausch entlehnt sein. Ist sie aber nicht, denn die erste Heidelberger Ausgabe von Bootleg (was unautorisierte Kopie oder Raubdruck bedeutet) ist im strengen Sinn keine von Laien geraubte Choreografie einer Pina Bausch oder eines Maurice Béjart. Es sind vielmehr frei erfundene Tanzsequenzen, die aus völlig unterschiedlichen Interessengebieten wie Forsythe-Training, Bollywood-Tanz, japanischer Kalligrafie oder russischer Folklore entwickelt, zum Teil über Video eingeblendet und zu einer revueartig losen Folge von Musik-, Bewegungs- und Tanznummern montiert wurden.
Das Publikum ist fasziniert.

„Jeder Mensch ein Tänzer“ das alte Laban-Credo verwirklicht pvc mit geringem Aufwand und großer Befriedigung alle Beteiligten. Der öffentliche Auftritt, der Applaus, die körperliche Erschöpfung – all das wirkt auf die Darsteller wie ein Befreiungsschlag. Und was meint der Zuschauer? „Das war theatermäßig das Geilste, was ich bisher gesehen habe“ sagt Carl Philip Kaiser. Der 22-jährige Student nimmt einen Schluck Bier und erinnert sich an Begegnungen der verschulten Art: „Erst lesen wir wochenlang Schillers Iphigenie, dann folgt ein Theaterbesuch, der belegen soll, was der Deutschlehrer vorgetragen hat. So langweilig, dass man sich von da an weitere Theaterbesuche erspart.“ Tja, eine Prise mehr Tanz im Theater und die Jugend - beweglich und neugierig – wäre dabei.

 

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