Offenen Auges

pvc in Heidelberg: Medienkritik in neuem Format

Heidelberg, 20/12/2007

„Whoosh! Let’s get Physical“ ruft eine Sprechblase auf dem Titel des wie ein Comic aufgemachten Programmhefts. Die zweite Heidelberger Spielzeit startet Joachim Schloemers physical virus collective, kurz pvc, mit einem ersten Tanzfestival. Aufgebrochen, um in den Studentenstädten Freiburg (Stammsitz) und Heidelberg (Spielverpflichtung) neues, junges Publikum zu generieren, gleicht das Ensemble einem mobilen Einsatzkommando in Sachen Tanz. Gleichsam alle Hebel in Bewegung setzend präsentiert das Kollektiv eine Woche lang ein kompaktes Angebot, unkonventionelle Produktionen, Workshops und neue Formate – zum Teil mit hintergründigen, gleichwohl gewöhnungsbedürftigen Titeln: „L’Art du déplacement“, „speed.neither/nor“, „Mutter.(Vater.Kind.)“, „Monadical“, „Hast Du Poppers?“ oder etwas kryptisch „3x3x3“.

Als Serie konzipiert konzentriert sich „3x3x3“ auf ein 27 Kubikmeter großes Stahlgerüst. Der transportable Kubus, der mit dem theaterpädagogischen Projekt „3x3x3 - Flucht“ für 16 Kinder aus zwölf Nationen von Graham Smith (Choreografie) und Maria Pires (Tanz) eingeweiht worden war, steht wenige Stunden später für den nächsten Einsatz bereit. „3x3x3 – As seen on TV“ titelt das zweite Projekt der Serie. Sebastian Rowinskys Choreografie und Tanz setzt sich mit der medialen Bilderflut auseinander, die von vier TV-Geräten über ihn herein bricht. Die Zuschauertribüne im Zwinger (so heißt das Kammertheater in Heidelberg) ist abgesperrt. Ein paar Stühle stehen um den Kubus herum, im übrigen ist viel Platz um sich, gemäß der Devise let’s get physical, dem Raumkörper von unterschiedlichen Seiten physisch zu nähern. Der Performer hockt apathisch am Boden, glotzt in die Röhren. Fußball, Gameshow, Trickfilm, Dokumentarisches aus der Dritten Welt, Ausschnitte eines Musicals oder einer Revue, ein Interview, Nachrichten - es flackert und flimmert, dazwischen elektronisches Rauschen, selten eine identifizierbare Aussage. Unablässig prasseln Bildbruchstücke sowie diffuse, dennoch aufdringliche Geräuschfetzen auf den Schweigenden.

Nichts Umwerfendes, dennoch beginnt Rowinsky äußerlich ruhig innerlich zu brodeln. Irgendwann steht er auf, stellt sich offenen Auges der Bilderflut, versucht sich zu widersetzen, wendet sich ab, nimmt Anlauf für eine neue Offensive, hängt sich selbst (wie ein Gerät) ins Gerüst. Was bringt’s? Zwischen Rückzug und Attacke läuft das Programm weiter. Soll er resignieren? Vielleicht. Er verkriecht sich, sackt ins elastische Tuch hinter ihm, rafft sich wieder auf und greift schließlich zum Stift, um das Unerhörte, das Unsägliche und Unsinnige auf den Begriff zu bringen. Hinter ihm die Leinwand, darauf die Projektion eines immensen, allgegenwärtigen Auges, stellvertretend für den visuellen Overkill oder den kritischen Blick.

„As seen on TV“ ist sowohl medienkritischer Kommentar als auch ein Lehrstück zu Pina Bauschs Credo: „Mich interessiert mehr, was Menschen bewegt, als wie sie sich bewegen“. Das Stück berührt zudem eine poetische Dimension, die an R.M. Rilkes Gedicht „Der Panther“ denken lässt: „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt…“

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