Heranführen ans Tanztheater

Gregor Zöllig vor seinem Wechsel von Osnabrück nach Bielefeld - ein Porträt

Osnabrück, 17/05/2005

„Zu Anfang sind die Leute aus meinen Vorstellungen rausgelaufen“, schildert Gregor Zöllig seine Anfänge als Tanztheaterchef am Osnabrücker Theater, in der so genannten Provinz. 1997 trat er dort an. 2005 schaut es ganz anders aus. Inzwischen hat der gebürtige Schweizer, an Folkwangschule Essen und John-Cranko-Schule als Tänzer ausgebildet, den Kunstpreis 2004 des Landschaftsverbandes Osnabrücker Land erhalten, kann er auf ein Stammpublikum zählen, liegen die Zuschauerzahlen in seinen Produktionen nicht unter 50 Prozent Auslastung. „Bei bekannteren Themen wie Orpheus sind es wesentlich mehr“. In der Studiobühne emma-theater (96 Plätze) seien 100 Prozent Zuspruch die Norm (siehe Kritik über „Gisela oder Resting Force“). Auch überregional hat er sich einen Namen gemacht. Eine gute Basis für die nächsten Jahre in Osnabrück, zumal Zöllig nach seiner Aussage vom jetzt scheidenden Intendanten Norbert Hilchenbach immer unterstützt wurde und von dessen Nachfolger Holger Schultze übernommen werden sollte. Aber: Er wechselt mit der Spielzeit 2005/06 nach Bielefeld, wagt dort einen neuen Start. Einerseits freut er sich über den dadurch ausgelösten Schub, den Zwang, sich anderen Bedingungen zu stellen. Andererseits schwingt Bedauern bei ihm mit, ein gut bereitetes Umfeld zu verlassen.

Der Erfolg in Osnabrück sei das Resultat einer zähen, geduldigen Aufbauarbeit in der Region, betont Zöllig. Um seine Themen, die sich unter anderem mit Globalisierung, (mangelnder) Kommunikation, Werbung, Exil, aber auch dem Mythos Orpheus beschäftigen, wirkungsvoll „zu verkaufen“, setzt er auf professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Man dürfe nicht erwarten, dass das Publikum aus dem Stand komme, erklärt Zöllig, sondern „man muss es heranführen ans Tanztheater“. Und zwar durchgehend, nicht nur punktuell. Da abendfüllende Handlungsballette klassischer Prägung nicht seine Sache seien, bleibe es eine ständige Aufgabe, die Leute neu zu gewinnen für seine Produktionen (und die seiner regelmäßig eingeladenen Gastchoreograf/innen), in denen er sich als „Seismograph für die Zeit“ versteht – mit Titeln wie „Heimat Ohneziel Namenlos“, „Haut.Salz.Körper“, „Paradiesische Zeiten“. Zöllig versteht sich als Teamarbeiter, obwohl er zugleich klarstellt, dass ein Ensemble konsequent geführt werden müsse.

Kodirektorin Christine Biedermann, seit 1997 dabei, und Tanzdramaturgin Christine Grunert bilden mit ihm das Leitungstrio, in dem „in fruchtbarer Reibung“ die Ideen ausgebrütet und entwickelt werden. Darüber hinaus ist für Zöllig die Mitarbeit seiner zehn Tänzer/innen unabdingbar: „Sie sind bei mir Koautor/innen, ich brauche deren Ideen. Gleichzeitig füttere ich sie mit Bewegungen, die sie verändern, verarbeiten können.“ Um sie darauf vorzubereiten, lädt er nicht nur Gastchoreografen ein, sondern bietet ihnen auch jeden Monat eine Woche lang Projekte mit Dozent/innen an, in denen etwa Kontaktimprovisation oder Yoga gelehrt werden. Das tägliche Training, geleitet von Biedermann, basiert auf dem klassischen Duktus. Alles zusammen sei die Basis der Compagnie. „Ich möchte Geschichten so erzählen, dass sie andere verstehen“, ist für Zöllig das allgemeine Ziel. „Da ich oft auf leise Töne setzte, die meist häufig viel stärker wirken als laute, brauche ich Zeit.“ Mehr als 20 Produktionen hat der heute 39-Jährige seit 1997 in Osnabrück herausgebracht, ein Tanzfestival ins Leben gerufen (dazu unter anderen das Nederlands Dans Theater geholt), die Tanzwerkstatt „Der Elch tanzt“ für tanzbegeisterte Amateure aus der Region eingerichtet (und damit den Tanz noch mehr in der Region eingebettet), schließlich zusammen mit Ballettchefs aus Schwerin, Braunschweig, Augsburg, Greifswald, Kiel das Netzwerk Tanzboden gegründet.

Schon jetzt laufen die Vorbereitungen für die kommende Spielzeit in Bielefeld. Dort will Zöllig seine „Hauptrichtung“ weitergehen wie schon der geplante Titel „Gestern werde ich das Heute für Morgen bestimmen“ verrät. Es gehe um die Handhabung von Zeit, erzählt er. Aus Osnabrück wird er sieben Tänzer/innen mitnehmen, in Bielefeld keine(n) aus dem alten Ensemble übernehmen. „Die Tänzer sind bereits, bevor ich engagiert wurde, vom neuen Intendanten Heicks gekündigt worden, weil er eine neue Richtung wollte“, so Zöllig. Er habe alle dortigen Tänzer/innen, die an einem Engagement interessiert waren, beim Vortanzen, auf der Bühne gesehen, habe Arbeitsproben mit ihnen gemacht und Gespräche geführt. Ihm gehe es darum, Leute zu finden, die in sein Konzept passten, sowohl künstlerisch als auch menschlich. Neu ist für ihn, dass er in Bielefeld seine erste Oper inszenieren wird: „Natürlich“ Glucks „Orpheus und Eurydike“.

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