18. Internationaler Choreographen Wettbewerb

Hannover, 10/04/2004

Nein, meine Wahl wäre nicht auf Shlomi Bitton aus Israel gefallen. Der freischaffende Bitton siegte mit seinem Stück „No Hands“ beim 18. Internationalen Wettbewerb für Choreographen in Hannover. Es wirkte auf mich zwar angenehm skurril mit seinem lockeren Wechsel zwischen Scheinannäherung und Auseinanderdriften des Paares (Bitton und Lilli Ladin), zwischen gespielt ungelenkem Verhalten Bittons und prononciert tänzerischen Abläufen. Aber es schien mir zu unbedarft, zu wenig entwicklungsmächtig mit seinen Wiederholungen der fast gleichen Vorgänge, lediglich verteilt über die Bühne. Aber so ist es eben bei Wettbewerben: Die Entscheidungen treffen kaum je auf ungeteilte Zustimmung, besonders, wenn es sich wie hier um schwer fassbare künstlerische Leistungen handelt.

110 Nachwuchschoreograph*innen aus aller Welt hatten sich beworben, 18 wurden von der Vorjury (Pierre Wyss, freier Choreograph, und Ed Wubbe, Direktor des Scapino Ballets und künstlerischer Leiter des Wettbewerbs) ausgesiebt für die zwei Vorrunden (je neun Stücke, zwischen acht und zwölf Minuten Länge) am Ostersonnabend und -sonntag. Fürs Finale qualifizierten sich neun. Daraus kürte die Jury drei Sieger, von denen ich nur Bittons Werk in der 1. Vorrunde gesehen habe. Die 2. Vorrunde und das Finale konnte ich mir leider nicht anschauen. Also beziehen sich meine Bemerkungen auf die 1. Vorrunde. Moderato - das ist mein Eindruck von den neun Stücken, unter denen keines das unbedingte Risiko, die freche Provokation, überbordende Leidenschaft oder den Versuch zeigte, Grenzen der Erwartung, des so genannten guten Geschmacks so zu überschreiten, dass es den Zuschauer vom Hocker reißt: Die kreative Bombe explodierte nicht.

Zahnloser Nachwuchs?? Nein, aber eben brav, zu brav. Durchgehend schien die Vorliebe für wirbelnde, sich in alle Richtungen schlängelnde Arme, für betonte Hüftverschiebungen und Rückenbiegungen auf. Das ergab eine gewisse Ähnlichkeit fast aller Stücke. Selbstverständlich spielte der klassische Stil keine Rolle, zum Spitzenschuh griff keiner. Damit verzichtete man auf eine Ausdruckspalette, aus der ein van Manen, ein Forsythe noch jede Menge Funken geschlagen haben. So begrüßenswert es ist, dass hochbegabte Tänzerinnen, denen die physischen Voraussetzungen für den Spitzenschuh fehlen, heutzutage auf den Bühnen auftreten können, waren sie doch noch vor wenigen Jahrzehnten fast gänzlich ausgesperrt - so sehr ist es zu bedauern, dass nicht beides, Modern und Klassisch, kreativ miteinander verbunden werden.

Gefallen hat mir „Ruth und Judith“ von Heather Harrington (USA, freischaffend), das sie mit Kathleen Flynn tanzte. Ein eigentümlich rätselhaftes Psychodrama zwischen zwei Frauen, in dem es offensichtlich um Berührungen geht, die manchmal näher dem Erwürgen als der Zärtlichkeit sind. Im Bewegungsmaterial tauchen klassische Momente auf wie eine Attitude-Drehung ins penché, bestimmend sind jedoch die äußerst beweglichen Arme und Finger, mit denen die eine nach der anderen greift oder für sich spielt. Unter der scheinbar harmlosen Oberfläche scheint es zu brodeln - ohne dass der Ausbruch käme. Ohne Mätzchen schuf Klára Pataky (Ungarn, freischaffend) „The Soldiers Tale“ (Musik: Igor Strawinsky), eine auf Soldat und Teufel kondensierte Fassung. Mit trockener Präzision verkörperten Csongor Szabó und Dániel Szásar die Kontrahenten. Pataky hangelt sich nicht an der Musik entlang, sie setzt eigene Akzente wie beim gewollt gezackten, grotesken Marsch mit Unterbrechungen, nimmt mit rhythmischem Stampfen und mit akzentuierten Faustschlägen auf die Bühne die Stimmung von Strawinskys Werk auf: ein handwerklich sauberes Stück.

In Sonia Rodriguez‘ (Spanien, freischaffend) „Caos“ beeindruckte mich die Choreographie weniger, obwohl der Beginn vor an- und ausgehenden Neonröhren durchaus gelungen ist. Gefangen nahm die Darstellung durch die Tänzerin Laura Marin, die das elfminütige, konditionell sehr fordernde Solo beklemmend intensiv bewältigte. Ärgerlich Rayco Cano-Cortes‘ (Spanien, Ballet Göteborg) aufgeblasenes, pompöses Stück „Never Mind“ zum abgenudelten zweiten Satz aus dem „Concerto di Aranjuez“ (Joaquin Rodrigo), das „souverän“ die musikalische Entwicklung ignoriert. Mitgebracht hatte er sich sechs Tänzer*innen des Göteborg Ballettensembles, die ihre Aufgabe exzellent erledigten: vergebliche Liebesmühe.

Michael Becker moderierte kompetent und wies auf die besondere Schwierigkeit hin, die Technik und Künstler in der kurzen Probenzeit auf der Bühne des Opernhauses zu bewältigen haben. Das wesentliche Kriterium des Wettbewerbs sei nicht das Aneinanderreihen von Bewegungsklischees, sondern die individuelle Bewegungserfindung. Die Jury bestand aus Amanda Miller (Direktorin Ballett Freiburg Pretty Ugly), Kevin O´Day (Ballettdirektor Mannheim), Henning Paar (Ballettdirektor Braunschweig), Jean Renshaw (freie Choreographin), Stephan Thoss (Ballettdirektor Hannover), Richard Wherlock (Ballettdirektor Basel), Ed Wuppe (Scapino Ballet), Pierre Wyss (freier Choreograph). Paar und Thoss waren selbst Preisträger des Wettbewerbs.

Die Preisträger des von der Ballettgesellschaft Hannover und der Niedersächsischen Lotto-Stiftung veranstalteten Wettbewerbs sind:

1. Preis 6000 Euro: Shlomi Bitton (Israel, freischaffend)

2. Preis 3000 Euro: Douglas Bateman (Großbritannien, Scapino Ballet))

3. Preis 2000 Euro: Jaako Toivonen (Finnland, freischaffend)

Den Kritikerpreis (1000 Euro) verliehen Dr.Alexandra Glanz (Hannoversche Allgemeine Zeitung), Isabelle Lanz (freie Journalistin), Henning Queren (Neue Presse Hannover), Hartmut Regitz (ballettanz), Dr.Patricia Stöckemann (freie Journalistin), Klaus Witzeling (freier Journalist) an Shlomi Bitton.

Den Publikumspreis (500 Euro) erhielt Jiri Bubenicek (Hamburg Ballett) für sein „Prisoners of Feelings“ nach Musik von Masato Hatanaka und Arvo Pärt. Teilnehmer der Finalrunde: Mauro de Candia (Italien, Ballett der Staatsoper Hannover) mit „Auf Suche“, Hugo Vieira (Portugal, freischaffend) mit „Slow emphases towards agessivity“, Rayco Cano-Cortes (Spanien, Göteborgs Operan Ballet) mit „Never mind“, Jaako Toivonen mit „Bar“, Shlomi Bitton mit „No hands“, Goran Bogdanovski (Slowenien, freischaffend) mit „1 : 0“, Michael Maurissens (Belgien, Ballett Freiburg Pretty Ugly) mit „emoody“, Douglas Bateman mit „Solo Circles“, Jiri Bubenicek (Hamburg Ballett) mit „Prisoners of Feelings“.

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