Gute Entwicklungen in der Pädagogik
tanznetz Kritiker*innenumfrage Ausbildungsstätten 2024/25
Eine schöne Tradition hat’s: immer im November, das Palucca Tanz Studio im Grünen Saal der Hochschule. Die aktuellen Studierenden des Master-Studiengangs liefern Arbeiten für die jüngeren Jahrgänge ab dem 1. Bachelor-Studienjahr. Vier Arbeiten sind es dieses Mal, nicht alle Master-Studierenden sind darunter. Zwei von ihnen erarbeiten Stücke an anderen Häusern.
Die Ergebnisse sind schon allein optisch recht düster, farblich in den Kostümen, dazu noch reduziert im Ansatz des Lichts. Unbequem und befremdlich auch viele Soundscapes. Hier haben die Choreograf*innen mit Studierenden der Hochschule für Musik zusammengearbeitet, die extra für die jeweilige Arbeit Kompositionen erarbeitet haben. Diese Kooperation zwischen den beiden Hochschulen läuft bereits seit einiger Zeit ziemlich erfolgreich.
Erfolgreich scheint auch das Einwerben von Drittmitteln. So hat zu Beginn der Vorstellung Rektorin Katharina Christl Dankesworte für das Engagement von Sponsoren wie der Ostsächsischen Sparkasse gefunden und zwei bestimmte Sitze im Publikum Mitgliedern der Arnhold-Familie gewidmet, einem Kreis von Gönnern, die sich in der Stadt Dresden vor allem im kulturellen Bereich engagieren.
Verfolgung und Vertreibung
Behält man im Hinterkopf, dass die jüdische Bankiers-Familie in der NS-Zeit Verfolgung und Vertreibung erlitten hat, liest sich gleich die erste Arbeit des Abends, „Et Lux“ von Amit Abend, bedrückend. In der Dunkelheit suchen einzelne Tänzerinnen und Tänzer offenbar nach anderen, vorsichtig werden leise immer wieder Namen gerufen. Aus schlagartig erscheinenden Lichtkegeln flüchten sie fast schon panisch. Einzeln treten sie an wie zu ärztlichen Leibesvisitationen. Die Fußsohlen werden gezeigt, der Nacken mit schräg gelegtem Kopf freigelegt. Spätestens, als eine Tänzerin langsam ihren rechten Ärmel hochschiebt, um die Innenseite ihres Unterarms vorzuzeigen, drängt sich die Assoziation zu einem Konzentrationslager auf.
Entsprechend gestaltet sich das Miteinander schmerzhaft getrieben, wie ein Überlebenskampf. Immer wieder gibt es einen speziellen Moment, in dem die Sonne (wieder) aufzugehen scheint, ein warmes Licht, das alle wie zuversichtlich in eine Zukunft blicken lässt. Momente der Entspannung sind hier aber die Ausnahme. Quietschende Sounds schmerzen teilweise in den Ohren. Mit einer Kinderstimme, die ein Lied singt, endet „Et Lux“ abrupt. Ein Ende scheint das nicht zu haben. Oder liegt in der Stimme des Kindes Hoffnung?
Genauso abrupt endet Kammy Lau Yin Kwans „The Ship“, in dem sie einen Tänzer mit fünf Tänzerinnen konfrontiert, die jeweils nur einen Spitzenschuh tragen. Das wird weitergetragen in einem Duett von Theo Qu Yang. Seinen komplexen intellektuellen Ansatz spiegelt er im sperrigen Titel „.spectacte(spectate(spectate(1)))“. Ausgehend von der Art und Weise, in der sich die beiden Tänzerinnen anschauen, entwickelt er in erst gleißend blendendem Licht ein Nebeneinander, in dem keine Verbindungen gesucht werden. Seltsame Sounds, die an das Rufen von Elefanten erinnern, dann wie das Summen von Fliegen. Unter Stroboskopgeflacker entsteht plötzlich ein bruchstückhafter Kampf, der in seiner Aggression genauso wenig ein Miteinander zeigt.
Anspannung bis zum Krampf
Das alles hat eine Isoliertheit, ein Gefühl der Leere, das fast schon in Hilflosigkeit umkippt. Bis schließlich Rigo Saura dem ganzen mit einer inneren Energie begegnet, die seine fünf Tänzer innerlich fast zu zerreißen scheint. Sein Titel „To Be Torn To Pieces“ verklausuliert deshalb auch nichts. Dass seine Arbeit die deutlich stärkste des Abends ist, damit hat man rechnen können, nachdem er bereits im Oktober für das Ensemble des Theater Görlitz mit „Ominous“ eine beeindruckend intensive Arbeit geliefert hatte. In auffällig reduziertem Licht kämpfen sich die Tänzer in schwarzen Anzügen verkrampft durch anhaltende Stresssituationen, deren Druck sie in langen, hektischen Monologen zu bewältigen versuchen. Was immer sie auch tun, sie schaffen es nicht aus ihrer Haut. Gleichzeitig lässt sich nicht übersehen, wie sie aufrecht aggressiv mit Händen in den Hosentaschen offensichtlich aus einer deutlich privilegierten Position heraus agieren.
Auflösung erfährt diese Anspannung zum Glück mit dem letzten Stück. Überraschend hat die Palucca Hochschule hier die Möglichkeit bekommen, „In C“ von Sasha Waltz zu zeigen. Durch das variable Set der 53 Figuren, die hier in Improvisationen umgesetzt werden können, schreibt die Arbeit nicht direkt eine konkrete Länge vor. Von einem „Ausschnitt“ kann man deshalb nicht reden. Das „demokratische“ Stück, wie Waltz es selbst nennt, ist ein wunderbares Kompositionsspiel, eine Herausforderung an räumliche Koordination, die nur funktionieren kann, wenn sich alle (hier) 16 Tänzer*innen aufeinander verlassen. Das ist deutlich sichtbar. Das muss funktionieren. Und das tut es. Denn hier kann sich niemand verstecken. Die gleichmäßige Dynamik des Stücks holt das Publikum erfreulicherweise aus dem emotionalen Keller.
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