„Arcadia“ von Matthew William Robinson

Im Nirgendwo

„New Artefacts“ in der Schwankhalle Bremen

Zwei Stücke zeigen zwei abstrakte Orte mit zwei Gemeinschaften, die ganz für sich bleiben: „Arcadia“ von Matthew William Robinson und Helge Letonjas „Black Rain“ sind die ersten Ergebnisse eines längeren Austauschs zwischen Bremen und Malta.

Bremen, 01/11/2025

Für einen erfolgreichen künstlerischen Austausch braucht es gar nicht immer viel Abstimmung. Im Fall von Helge Letonja mit seinem Ensemble of Curious Nature in Bremen hieß es für Matthew William Robinson einfach nur: Die Türen stehen offen und die Tänzer*innen bereit. Robinson ist seit Kurzem Leiter von ŻfinMalta, der Nationalen Tanz Company Maltas, und „New Artefacts“ ist der Auftakt eines längeren Austausches der beiden Companys. Nach einem Gastspiel von ŻfinMalta in Bremen im Dezember wird dann noch vor Jahresende eine Arbeit Helge Letonjas für die Company auf Malta Premiere feiern. Für diesen Doppel-Abend haben Robinson und Letonja gemeinsam den zusammenfassenden Titel entworfen. Das war’s auch schon. Alle weiteren Entwicklungen verliefen entspannt parallel nebeneinander.

Trotzdem kann man zwischen beiden Arbeiten ähnliche Grundansätze in der Thematik entdecken. Robinson baut für sein „Arcadia“ nicht etwa einen Rahmen lyrischer Harmonie. Er gestaltet seine Figuren stattdessen ganz bewusst „leer“. Seine Arbeit eröffnet den Abend in der Schwankhalle und geht von Anfang an in eine andere Richtung, als der Titel vermuten lässt. Der schmale, lange Grünstreifen aus Kunstrasen, parallel zu einem weißen aus Tanzboden, das verspricht eigentlich schon Idylle. Und ganz entspannt chillt darauf auch erst mal ein Tänzer in weißem T-Shirt und schwarzen Shorts, ganz simpel, ganz relaxed. Es braucht aber nur ein kurzes Blackout, und die Bühne ist plötzlich rappelvoll. Ein stummes Tableau aus Tänzer*innen, alle in Sportklamotten. Reglos starren sie das Publikum an. Das verursacht ein unbehagliches Gefühl. Was wollen die?

Digitale Selbstreferenzen

Ein Wummern und Dröhnen aus den Boxen ist die akustische Unterlage für einen raumgreifenden Bewegungsansatz, der bis in das Gefühl von Überspanntheit reicht. Es ist eine Art Sportplatz, auf dem sich diese jungen Menschen ihren Aktivitäten hingeben, die erst mal nach viel aussehen, aber bei längerer Beobachtung deutlich machen, dass sie nirgendwohin führen. Es scheint allen zu reichen, für sich zu sein.

Robinson versteht das als eine Reflexion der Selbstbespiegelung in den sozialen Medien. Er zeigt eine Form der Inszenierung, die die Geste zu Inhalt erhebt, ganz so, als sei eine Andeutung bereits eine Aussage. Deshalb fädeln sich auch alle in einer Reihe an der grünen Kante auf, als wäre es die Startlinie für einen Sprint. Der Startschuss aber bleibt aus; die Startlinie ist kein Beginn eines Weges. Dahinter kommt nichts. Man könnte es ein Treten auf der Stelle nennen. 

Seine Figuren scheinen nichts zu wollen, weil ihnen ein Ziel zu fehlen scheint. Man kann dieser „Mannschaft“ deutlich die Isoliertheit bescheinigen, die eben auch das pausenlose „Gemache“ im Netz mit sich bringt. Es ist, als hänge über ihnen ein uneingelöstes Versprechen. 

Nach innen gerichteter Blick 

Das geht als Konzept gut auf, aber gerade weil hier keine Entwicklung stattfindet, besteht die Gefahr, das Publikum zu verlieren. Das kann auch an dem Blick liegen, den diese Gemeinschaft halt nicht nach außen richtet. Die Selbstinszenierungen in den sozialen Medien zielen zwar auf eine Publikumswirksamkeit ab, nur fehlt ja aber im Fall dort die Unmittelbarkeit der Wirkung. Darin liegt ein gewisser Bruch, wenn das Publikum durch direkte Präsenz im Raum „Echtzeit“ ganz anders vermittelt. Dramaturgisch ließe sich das noch weiter schärfen. Durch die Selbstreferenzen ist das Publikum nicht dazu eingeladen, mitzumischen. Es soll nur liken. Das Premierenpublikum hat sich da aber, ganz analog mit dem klassischen Applaus, auch nicht lumpen lassen.

Einen solchen isolierten Kosmos skizziert auch Helge Letonja. Zwar ist der Regen in „Black Rain“ leider nicht schwarz, aber tatsächlich läuft er sanft im Bühnenhintergrund über zwei große halbtransparente Plastikplanen. Dahinter kann man, verschwommen, ein intimes Duo zweier fast nackter Figuren ausmachen. Die Frage danach, was das will, braucht es da gar nicht. Hier ist funktioniert die Unmittelbarkeit der Wirkung nämlich tatsächlich.

Den eigenen Worten zufolge wollte Helge Letonja die Tänzer*innen mit seiner neuen Arbeit als Abwechslung mit weniger Bewegungsmaterial herausfordern. Mehr auf Bilder hat er gesetzt. Diese platziert er an einen fremd wirkenden Ort: Unheimlich ist der Raum, der zaghaft vom Licht mehrerer vertikaler Stableuchten gefüllt wird. Eine hallige, digitale Stimme aus dem Off spricht in einer Fantasiesprache. Und der Regen aus dem Titel kommt nicht ohne Gewitter aus. Donner lässt dieses Gewitter andauern, als wäre die Zeit stehengeblieben. 

Aufgehobene Logik

Wie ein Anhalten des Atems wirkt das. Als wäre jegliche Logik aufgehoben, gleiten Figuren mit Schirmen über die Bühne, verspielter im Bewegungsansatz als bei Robinson, vergleicht man das Vokabular mit dessen exaltierter Weite. Diese Anderswelt gehört sich selbst, wenn die aufgespannten Schirme plötzlich wie von innen heraus leuchten und drei Figuren in identischen schwarzen Damenhüten einen Disput über nichts führen. Diese Hüte sind es, die an Becketts rhythmisiertes Trio „Come and Go“ dreier Damen erinnern, die mit genauso über die Augen reichenden Hüten ihren eigenen absurden Kosmos bevölkern: versteckt, und doch ausgestellt. Heimlich, aber im richtigen Licht. Diese Merkwürdigkeit kippt dann noch in ein amüsantes „Hütchenspiel“ um. 

Lautes Atmen aus dem Off, gedrängt, gesteigert bis in die Ekstase, begleitet ein Duo, bevor die Sounds unvermittelt umkippen in einen alten Gesang in mallorquinischem Dialekt, der vom Untergang der Welt spricht. Das Gewitter aber zieht weiter, und diese Gemeinschaft macht einfach weiter, ist sich selbst genug. Selbstvergessen tanzen sich alle einfach in einen Rausch. 

Stellt man die beiden Arbeiten nebeneinander, wirkt es schon so, dass Helge Letonja es eher schafft, die Authentizität „seiner“ Tänzer*innen auf die Bühne zu holen. In seinem „Black Rain“ hatten sich zur Premiere einige aus dem Ensemble irgendwann mit sichtbarem Genuss sichtlich freigetanzt. Was sich schließlich wie eine Erlösung angefühlt hat, hat sich auch auf das Publikum übertragen. 

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