„Anima Obscura“ von Nanine Linning

Was bleibt, ist der Trost

Nanine Linning mit einer Neufassung von „Anima Obscura“ in Rotterdam

Brahms gibt den Ton an. Und alles richtet sich nach ihm. Dadurch entstehen Bilder, die die Fehlbarkeit, aber auch die verletzliche Größe des Menschen zeigen.

Rotterdam, 30/05/2025

„I ❤️ RDAM“ – Man kann wohl getrost davon ausgehen, dass es ein Premierengeschenk an Nanine Linning war, ein T-Shirt mit genau diesem Aufdruck. Zum Premierenapplaus hatte sie es sich blitzschnell hinter der Bühne über das schwarze Abendkleid gestülpt und präsentierte es zur Begeisterung des Publikums. Eine Geste, die nicht ganz ohne und in jedem Fall smart ist. „Anima Obscura“ ist Nanine Linnings erste Arbeit als Chefin des Scapino Ballet. Erst im Januar hat sie den Posten offiziell angetreten. 

Zwar ist Linning in Rotterdam keine Unbekannte; in den frühen 2000er Jahren war sie dort Hauschoreografin. Seitdem hat sie aber vor allem viel in Deutschland gearbeitet und hat 2012 bis 2018 die Tanzsparte am Theater Heidelberg geleitet. Sich dem Rotterdamer Publikum wieder neu vorzustellen, ist keine einfache Aufgabe. Das T-Shirt hat das vielleicht ein bisschen erleichtert. Linning selbst betonte nach der Premiere im persönlichen Gespräch, wie wichtig dieser Abend für sie sei.

Ihre neue Arbeit war keine Uraufführung, aber in gewisser Hinsicht doch, zumindest ein bisschen. „Anima Obscura“ hatte sie bereits 2021 mit großem Erfolg für Heidelberg erarbeitet. Mit der Neufassung für das Scapino Ballet hat sie den Wunsch nach ewigem Leben als Kern des Stücks noch weiterentwickelt, weiter in den Mensch-Maschine-Diskurs. 2021 war eben KI noch nicht in aller Munde. Trotzdem hat Linning den religiösen Aspekt beibehalten, was schon allein durch die Musik vorgegeben ist.

In Rotterdam ist es ein fast 50-köpfiger Chor, der, verteilt zu beiden Seiten des Orchestergrabens, Brahms „Deutsches Requiem“ stimmlich fast. Begleitet wird der Laurens Symfonisch Koor live vom Rotterdam Philharmonic Orchester (musikalische Leitung: Giuseppe Mengoli). Wie schon in Bielefeld vermischt Linning auch hier Brahms' Komposition in einer Art Dialog mit dem Stück „Ein Schemen“ von Yannis Kyriakides. Auf der Bühne sitzt dafür auf einem extra Podest der Harfinist Remy van Kesteren. Die Solostimmen haben Aphrodite Patoulidou (Sopran) und James Atkinson (Bariton) übernommen.

Die Musik bestimmt den Abend

Die Musik ist für „Anima Obscura“ der alles entscheidende Grundstock. Dramaturgisch wie rhythmisch richtet sich die komplette Arbeit daran aus. Ganz gleich, wie stark die verschiedenen Puzzleteile Kostüme, Choreografie oder Videos auch eingesetzt sind, alles wirkt hinter der Musik wie zweitrangig. Der Gesamteffekt, der dadurch entsteht hat durch die Vielzahl der theatralen Mittel etwas Opernhaftes. Diese Mischung zum einen der Genres und zum anderen der Stilmittel ist für Nanine Linning nicht neu. Multimedialität steht bei ihr schon lange ganz oben auf der Liste. 

Brahms‘ Requiem gilt als Trost für die Lebenden angesichts des Todes. Es ist der Mensch allgemein und in der Choreografie natürlich dessen Körper, der im Fokus steht. Um den Harfenisten herum arrangiert Linning das Ballettensemble in einem Raum, dessen geschlossene Wände als Projektionsflächen für allerlei Abstraktes dienen; schwarz-weiß gibt dabei den Ton des Abends an. Fast wirkt es dabei ein bisschen, als würden diese Wände einen zu engen Raum schaffen, so viele Elemente setzt Linning auf die Bühne. Da wird der Harfenist auf seinem Podest immer wieder an eine andere Stelle verfrachtet, großzügig dimensionierte Rahmen bieten mit transparenten Flächen für Projektionen eine zweite Bildebene, nehmen selbst aber Raum ein, wenn sie gerade nicht genutzt werden. Zusätzlich werden einige Videos live am Rand der Bühne über eine Kamera erzeugt. 

Das sind viele Elemente, die den Bühnenraum für das Ballett zu einer Herausforderung machen. Die Ensembleszenen bewegen sich kreisförmig über die Bühne und sind vor allem Illustration der Musik. In Solos und Duos, in denen die Tänzer*innen fast nackt sind, entstehen klare Bilder, in denen die Körperlichkeit etwas Materialhaftes bekommt und den Menschen als Individuum bedeutungslos erscheinen lässt. Choreografisch geht Linning hier keine Experimente ein, was dem elegischen Grundton von Brahms Rechnung trägt. Stattdessen setzt sie die Körper ihrer Tänzer*innen in einer Szene an der Wand ins Bild, als würde man Zeuge einer Gruppenkreuzigung. Bis alle schließlich kraftlos zu Boden fallen. 

„Ich will euch trösten“, singt der Chor. Und dieser Trost, er zieht sich gleichmäßig durch den Abend, an dessen Ende alle auf der Bühne langsam in die gleiche Richtung schreiten, in die Richtung, aus der das Licht kommt. Hat Linning in ihrer Arbeit „Dusk“, die sich ebenso dem Tod widmet, noch angedeutet, was und wie ein Nachher sein kann, bleibt das in „Anima Obscura“ offen. 

 

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