Wunder im Schein des Streichholzlichts

Uraufführung beim Scapino Ballet: "Supernova" von Marco Goecke

Rotterdam, 28/02/2009

Die sieben scheinen zum Greifen nah. Aufgereiht stehen sie an der Rampe, den nackten Rücken dem Publikum zugewandt. Doch der Eindruck täuscht. So einfach lassen sich die Tänzer nicht fassen. Salzkörner um sich werfend, sind sie in einer Wolke aus weißem Staub auch sogleich wieder verschwunden: ein toller Theatercoup, der die Zuschauer auf seltsame Weise einstimmt auf ein Stück, das sich immer wieder der Wahrnehmung entzieht und sich dennoch ungleich bewegter zeigt als die drei Arbeiten zuvor.

„4x20 Storyproof“ nennt sich der neue Abend des Scapino Ballet Rotterdam, und dieser präsentiert im vorgegebenen Zeitrahmen mit Marco Goecke, Georg Reischl, Christophe Garcia und Ed Wubbe vier Choreografen, die das Programmheft als „abstrakte Geschichtenerzähler“ kennzeichnet. Auf den Hauschoreografen des Stuttgarter Balletts mag die Kennzeichnung insofern zutreffen, als sich Marco Goecke auch in „Supernova“ einer Konkretisierung strikt entzieht. Seine Tänze scheinen schon immer aus einem Stoff, aus dem sonst nur die Träume sind – und was der Zuschauer am Ende gesehen hat, lässt ihn nicht bloß in der Rotterdamse Schouwburg bisweilen an seinem Wachzustand zweifeln.

Bereits in „Whiteout“ für die Ballettkompanie in Monte Carlo erforschte Goecke den Grenzbereich zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, und in allen anderen Stücken ging es in der Tat um „Alles“ (wie 2006 in Braunschweig) und um „Nichts“ (wie zuletzt für NDT II). Auch seine jüngste Kreation macht insofern keine Ausnahme, als sie Raum und Zeit auf eigene Weise definiert. Ein Solo kann schon mal aus der Vertikalen in die Horizontale kippen – und gespiegelt wirkt die bizarre Bewegungsfindung Goeckes noch einen Dreh vieldeutiger als sonst. Das Ballett handelt erklärtermaßen von einer „Supernova“, selbst wenn Udo Haberland sein Licht nicht so aufleuchten lässt wie einen explodierenden Stern. Auch bei Scapino bleibt vieles in einem diffusen Dunkel. Aber selbst der Schein eines aufflackernden Streichholzes kann manchmal Wunder wirken, und von denen gibt es einige bei Goecke. Immer wieder tauchen in den 20 „Supernova“-Minuten Tänzer und Tänzerinnen (unter ihnen die auch in Stuttgart bekannte Ralitza Malehounová) überraschend aus der Finsternis auf. Einige flattern wie aufgescheuchte Vögel über die Bühne, schwarze Straußenfedern in den Händen. Andere spielen Katz und Maus oder zappeln wie Fische auf dem Trockenen, während Musik von Pierre Louis Garcia-Leccia, Fabian Smith und Antony & the Johnsons erklingt: Bildgewordene Bewegungen, die im Entstehen bereits wieder verschwinden.

www.scapinoballet.nl

 

 

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