Ende in Heidelberg
Iván Pérez tritt ab
Zwei Stühle auf der Bühne. Am linken Rand im Hintergrund noch ein großes Pult und auf der Rückwand eine Projektion. Sie zeigt einen blauen Himmel mit weißen, luftig bewegten Wolken. Martina Hefter und Patrice Lipeb betreten die Bühne als Forschende, die ihre Umgebung erkunden. Sie führen ihre Arme über das Wolkenbild und ergänzen den Himmel mit ihren Körpern. Doch bald sitzen sie auf den Stühlen und atmen – ein und aus, ein und aus.
Damit beginnt die Performance „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ zu dem gleichnamigen Roman von Martina Hefter, der letztes Jahr den Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Auf der feeLit, dem Internationalen Literaturfestival Heidelberg, wird aus der Lesung ein Gesamtkunstwerk. Denn die Autorin Hefter ist auch Tänzerin, und ihr künstlerischer Partner Lipeb ist Musiker. Zusammen lassen sie gesprochene Textstellen aus dem Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ einfließen in ein Kunstwerk aus Sound, Text, Bewegung und Bildern.
„Wenn man jeden Tag eine schlechte Nachricht hört, sollte man auch über das Licht nachdenken“, sagt die künstlerische Leiterin der feeLit, Jagoda Marinić, zur Einführung der Performance „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“. Damit spielt sie auf das Motto des Literaturfestivals an, das dem Song „Anthem“ von Leonard Cohen entnommen ist: „that’s how the light gets in“. In der Hymne singt Cohen vom Riss, der allem innewohnt und deswegen das Licht durchlassen kann. Marinić gelingt mit dem Verweis eine passende Überleitung zu Hefters Performance und Text, erzählt doch ihr Roman von einer schlaflosen weiblichen Figur mit Namen Juno, die es täglich zum Tanztraining zieht. Zugleich aber pflegt sie ihren kranken Mann Jupiter, der sich immer weniger bewegen kann. In der Nacht jedoch findet Juno im Internet beim Chat mit Heiratsschwindlern eine Welt voller Lügen. Sie erlauben ihr die Freiheit mit allen möglichen Identitäten und Lebensentwürfen zu spielen.
Magier am Soundpult
Inzwischen steht der Musiker Lipeb am Soundpult wie ein Magier, der seinem elektronischen Klangraum mit allerlei Geräusch-Objekten ein komplexes Muster verleiht. Hefter beugt sich derweil tänzerisch zum Mikrofon und liest aus ihrem Buch: „Zoom auf den Rücken einer Person, auf ein großes Backpiece: >>Exploitation<<, eine geschwungene, etwas verschnörkelte Schrift, außenrum fliegen ein paar Krähen. Schnitt.“, so beginnt ihr Roman. Ausbeutung, jenes Wort auf dem Rücken, trifft vielleicht den Kern von Hefters Werk, der diesen Begriff von allen Seiten beleuchtet, den dunklen ebenso wie den hellen. Oder mit dem Motto des Festivals gesagt: Der Riss in den Beziehungen lässt immer das Licht durch.
Eine Wildbiene hat das Wolkenbild abgelöst, während Hefter mit ihren schlanken Armen und Beinen tänzerisch die Luft zwischen den Wörtern zerteilt und den Kling-Klangs, den raschelnden, ruckelnden, surrenden und dröhnenden Tönen Lipebs folgt. „Solange ich spiele, passiert nichts“, lautet einer der letzten Sätze des Romans. Das glaubt man sofort, denn die beiden Performer verstehen sich spielend und schöpfen daraus ihre Kunst.
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