Ich – Du – Wir
„No Body Some Body” von Jai Gonzales in Heidelberg
Das Duo ist die leise Königsdisziplin des Miteinander-Tanzens. Wer zu zweit auf der Bühne antritt, muss sich nicht nur mit Partner oder Partnerin blind verstehen, sondern auch die Aufmerksamkeit des Publikums sicher steuern können. Salopp ausgedrückt: Ein Duo ist nichts für Anfänger. Und so verwundert es nicht, dass die Künstler*innen der beiden Duos, die den ersten Abend der Reihe D-Dance #2 in der Heidelberger Hebelhalle bestreiten, über einen großen künstlerischen Erfahrungsschatz verfügen. Noch eines eint die beiden höchst unterschiedlichen Arbeiten: Sie wurden von den Tänzer*innen selbst auf den eigenen Leib choreografiert, und das – zumindest zu einem beachtlichen Teil – im Choreografischen Centrum Heidelberg. Zehn Residenzen im CC (Aufenthalte mit unbegrenzter Probenmöglichkeit, Unterbringung vor Ort und einem finanziellen Beitrag zu den Produktionskosten) wurden in diesem Jahr an international renommierte Künstler*innen vergeben; fünf dieser Choreografie-Stipendiat*innen präsentiert das UnterwegsTheater in seinem Herbstprogramm.
Erfahrung in Bewegung
Der brasilianische Tänzer, Choreograf und Ballettmeister Louiz Rodrigues und der kanadische Tänzer, Choreograf und Komponist Paul Calderone trafen sich 2019 im Badischen Staatstheater Karlsruhe, wo sie schon bald eigene und auch gemeinsame Projekte entwickelten. In ihrem Stück „Somatic Tales“ erforschen sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten in ihrer Bewegungssprache auf hohem Niveau; klassisches Ballett schimmert dabei nur noch von Ferne durch. Die Übersetzung von emotionalen Erfahrungen in Bewegung ist immer individuell, und wenn zwei Tänzer die gleiche Bewegung zeigen, ist die Wirkung nicht dieselbe. Rodrigues und Calderone spielen mit ihrem unterschiedlichen Körperausdruck, finden Gemeinsamkeiten und das, was sie trennt. Ein bühnenhoch aufgehängter, bis zum Boden reichender riesiger Raumteiler aus transparenten dünnen Plastikplanen bekommt mehr und mehr optisches Gewicht in der Choreografie. Wie eine hauchdünne Membran wirken die Planen mal als golden reflektierende Wand, mal als durchlässige Schutzhaut. Der trennende Plastik-Vorhang wird am Ende in Augenhöhe abgeschnitten – wie eine verzweifelte Beschwörung.
Während der Umbaupause auf offener Bühne konnte man sich ein kleines Bild davon machen, welchen Aufwand es jedes Mal kostet, die chronisch unterfinanzierte Hebelhalle von einem in die Jahre gekommenen Industriegebäude in ein professionelles, attraktives Theater zu verwandeln. Die Hausherren, der künstlerische Leiter Bernhard Fauser und die Choreografin Jai Gonzales, arbeiten ohne Schnürboden, ohne Technik-Crew, ohne Putzkommando, Einlasskontrolle, Buffetkraft – die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Die polnische Choreografin und ehemalige Stettiner Ballettdirektorin Lycina Zwolínska hat sich für ihr Stück „ÜberMensch“ mit der taiwanesischen Tänzerin Hsin-I Huang zusammengetan. Letztere hat unter anderem im renommierten Cloud Gate Theatre getanzt – und ist in der Hebelhalle von ihren Auftritten im Ensemble des UnterwegsTheaters her bestens bekannt. Lycina Zwolínska, im Anzug und mit dunkler Netzhaube als genderneutraler menschlicher Roboter getarnt, bietet eingangs einen faszinierenden Mix aus geschmeidigem Tanz und abgehackten Maschinenbewegungen. Im Laufe des Stücks – offensichtlich ein Work in Progress – untersuchte sie zusammen mit ihrer Partnerin, wie sich menschliche Empathie und der Wunsch nach technischer Weiterentwicklung zusammenführen lassen: Mensch-Sein behält zum Glück die Oberhand.
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