„Dance x 2“ / „IT’S NIGHT AGAIN“ von Ginevra Panzetti und Enrico Ticconi, Tanz: Polina Kliuchnikova und Adrien Ursulet (DTH)

„Dance x 2“ / „IT’S NIGHT AGAIN“ von Ginevra Panzetti und Enrico Ticconi, Tanz: Polina Kliuchnikova und Adrien Ursulet (DTH)

Unter der Oberfläche des Bewusstseins

Zur Premiere „Dance x 2“ im Heidelberger Zwinger

Zum wiederholten Mal hat der Heidelberger Tanzchef Iván Pérez bei der Eröffnungspremiere andere ans choreografische Ruder gelassen und für seine letzte Spielzeit in Heidelberg nur eine einzige eigene Premiere angekündigt: Die Zeichen stehen auf Abgang.

Heidelberg, 15/10/2025

Corona scheint unwirklich lange her zu sein – und doch gab es eine Zeit, in der eine Heidelberger Tanzpremiere nur online stattfinden konnte. Mit auf dem Programm stand damals das Stück „Crash“ der Belgierin Astrid Boons. Für die erste Saisonpremiere im Heidelberger Theater („Dance x 2“) durfte sie ihr damaliges Stück neu auflegen: „Crash: reassembled“. In der Zwischenzeit war die Choreografin mit „Khôra“ bei der Tanzbiennale zu Gast. Die Ähnlichkeiten zum neuen Stück sind nicht zufällig: Wieder hat Boons ihre Protagonisten in hautenge Bodys gesteckt, die nur Hände und Füße freilassen. Für die Köpfe gibt es zeitweilig farblich abgestimmte dunkelblaue Strumpfmasken. 

Auch das Bewegungsvokabular weist deutliche Ähnlichkeiten auf. Da wird in Evolutionsbiologie eingetaucht, und tierische Kopulation-Bewegungen werden als Teile neuer, befremdlicher Rituale entdeckt. Die elektronische Auftragskomposition (Miguelángel Clerc Parada) setzt mehr auf Geräuschkulisse als auf vertraute musikalische Strukturen und nutzt am Ende Lautstärke als Argument für diese Vision von „Zurück in die Zukunft“. 

Schichtwechsel nach der Pause: Das zweite 5-Personenstück „It’s Night Again“ bestreitet ein frisches Team des Dance Theatre Heidelberg. Das italienische Choreografie-Team Ginevra Ganzetti und Enrico Ticconi taucht tief ins Unbewusste ein. Wo ginge das leichter als im Schlaf? Die fünf Tänzer*innen, die sich da im Schummerlicht gemeinsam einer Art Workout in Zeitlupe unterziehen, sind nur auf den ersten Blick sanfte Somnambule. Beim näheren Hinsehen offenbaren sie einige verstörende Details. So sind sie offensichtlich mit Babyschnullern zum Schweigen gebracht, und ihre Kleidung – ein Mix aus Arbeitsdress und Team-Uniform – ist mit obskuren Spieler-Nummern gekennzeichnet. Irgendwann fällt Player Nummer 777 der Spielerin Nummer 23 um den Hals und geht ihr anschließend an die Kehle – so schnell kann hier die Stimmung kippen.

Mit solchen überraschenden Einbrüchen von Gewalt in die repetitiven Bewegungsmuster gelingt es dem Choreograf*innen-Duo, die Spannung hochzuhalten. Synchrones Ballwerfen wird plötzlich beängstigend, und ein fiktives Ende des Stücks mit einer Verbeuge-Zeremonie im Stil klassischer Ballett-Ensembles entwickelt sich zum beängstigenden Drill, bis den Beteiligten das Kunstblut aus dem Mund läuft… Wieder Zeit für die Schnuller, damit der Mund geschlossen bleiben muss und das Fünfer-Team wieder auf den gemeinsamen Atemrhythmus eingeschworen werden kann. Aber es ist ein dünner zivilisatorischer Frieden, unter dem überwältigend starke Emotionen gären. 

Zum wiederholten Mal hat der Heidelberger Tanzchef Iván Pérez bei der Eröffnungspremiere andere ans choreografische Ruder gelassen und für seine letzte Spielzeit in Heidelberg nur eine einzige eigene Premiere angekündigt: Die Zeichen stehen auf Abgang.

 

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