„Kintsugi“ von Edvin Revazov, Tanz: Hamburger Kammerballett und Gäste

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Hamburger Kammerballett mit „Kintsugi“ und „Silentium“ von Edvin Revazov in der Elbphilharmonie

Risse und Brüche, Verletzungen und Wunden: Die Tänzer*innen setzen ein deutliches Zeichen für Frieden zwischen den Völkern.

Hamburg, 18/05/2025

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Tanz auch in der Elbphilharmonie bestens funktionieren kann, dann wurde er jetzt erbracht: Das Hamburger Kammerballett gastierte dort mit „Kintsugi“, einem 2024 ursprünglich für das Ballett Kiel choreografierten Stück. Hinzu kam das gerade erst neu kreierte „Silentium“ von Edvin Revazov zu Musik des zeitgenössischen Komponisten und Pianisten Leon Gurvitch (*1979). Die 14 Tänzer*innen brauchten nicht mehr als einen großen runden weißen Tanzteppich sowie etwas Lichtillumination auf dem Boden und am hinteren Bühnenrand, um im gut 2000 Zuschauer*innen fassenden Großen Saal eine hochkonzentrierte Dichte zustande zu bringen, die für geschlagene zweieinhalb Stunden anhielt.

Edvin Revazov, Erster Solist beim Hamburg Ballett, zeigte sich hier ein weiteres Mal als begabter Choreograf, und zwar nicht nur für bewegende Soli und Pas de Deux, sondern auch für spannungsreiche Ensembles mit einem untrüglichen Sinn für die gekonnte Ausnutzung des Raums im Weinbergsaal an der Elbe, der hier einmal mehr wie ein Amphitheater wirkt und die Menschen in seinem Rund verbindet. Auf diese Weise sind die Tänzer*innen noch nahbarer als auf der sonst üblichen Guckkastenbühne, vor allem, wenn sie eine so zwingende Präsenz ausstrahlen wie an diesem Abend.

Neben der sechsköpfigen Stammbesetzung des Hamburger Kammerballetts aus ukrainischen Tänzer*innen, die bei „Kintsugi“ zusammen mit Ricardo Urbina (der früher in Kiel engagiert war und jetzt frei arbeitet), Nicolas Gläsmann (früher Hamburg Ballett), Yuliia Kuzmych (United Ukrainian Ballet) und Milla Loock (bis 2023 beim Bundesjugendballett) brillierten, standen bei „Silentium“ vor allem die vier Ersten Solist*innen des Hamburg Ballett, die vor kurzem gekündigt hatten, im Mittelpunkt: Sasha Trusch, Madoka Sugai, Christopher Evans und Jacopo Bellussi. Hinzu kam auch noch Hamburgs Erste Solistin Xue Lin. Sie waren die tragenden Säulen des Stücks und hauchten ihm jene Magie ein, die von großen Tänzer*innen ausgeht.

Neue Prachtstücke aus Scherben

In beiden Stücken geht es um die vielfältigen Risse und Brüche, Verletzungen und Wunden, die geheilt werden wollen und doch sichtbar bleiben. Bei „Kintsugi“ ist es die Analogie zum japanischen Kunsthandwerk, das aus Bruchstücken und Scherben durch den Goldauftrag neue Prachtstücke zu erschaffen vermag, was Edvin Revazov auf seine Weise aufgreift und im Tanz ebenso expressiv wie variantenreich spiegelt. Toleranz, Verständnis und Verzeihen sind das Amalgam, das den Wandel und damit neue Verbindungen ermöglicht.

Ganz ähnlich verhält es sich bei „Silentium“, das Revazov, der auch für Kostüme und Bühnenbild verantwortlich zeichnet, noch stärker zu einem nachdrücklichen Appell für den Frieden gestaltet, mit einem wunderbaren Solo für die grandiose Madoka Sugai in einem schlichten, fließenden roten Kleid und einem ergreifenden Pas de Deux für sie und den nicht minder grandiosen Sasha Trusch im Zentrum.

Die Musik zu beiden Stücken von Leon Gurvitch kam live von der Bühne: Bei „Kintsugi“ waren es fünf Auszüge seiner „Musique Mélancolique“ und zwei zusätzlich komponierte Stücke für Klavier, vom Komponisten selbst gespielt; für „Silentium“ kamen noch neun Streicher dazu. Gurvitch, in Minsk in Belarus geboren, lebt seit 2001 in Deutschland und weiß aus eigener Erfahrung, wie sich Flucht und Heimatverlust anfühlen. Nicht zuletzt deshalb findet er die passenden Töne und musikalischen Arrangements für den Tanz. Und so wirken beide letztlich kongenial zusammen und bilden eine noch lang nachwirkende Einheit.

Das Publikum in der fast ausverkauften Elbphilharmonie war zu Recht begeistert und feierte alle Mitwirkenden mit standing ovations.

 

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