Komoco: „IMA“

Am Puls des Lebens

16. Internationale Oldenburger Tanztage

Ästhetische Überhöhung versus emotionale Tiefe, Elektronik versus Blutkreislauf, Klassik versus zeitgenössischen und afrikanischen Tanz – die 16. Oldenburger Tanztage betonen die Unterschiedlichkeiten.

Oldenburg, 22/05/2025

13 Compagnien aus neun Ländern präsentierten 17 Programme und brachten die Stadt Oldenburg zusammen mit allen sonstigen Angeboten zum Vibrieren. Durchaus erfolgreich: Die Zuschauerzahlen vom letzten Festival wurden übertroffen.

Den Anfang machte das Aterballetto mit einer begeistert aufgenommenen „Rhapsodie in Blue“ von Gershwin, choreografiert vom Duo Irtaxe Ansa und Igor Bachovitch, gefolgt von Christal Pites „Solo Echo“ und Diego Tortellis „Glory Hall“. Im Kleinen Haus eröffnete die Compagnie Pyramid aus La Rochelle mit energetischem urbanen Tanz. 

Sofia Nappi und Edvin Revazov mit starken Stücken

Starken Eindruck hinterlässt auch Sofia Nappi mit ihrem Ensemble KOMOCO: Ihr Tanz ist unkonventionell und energiegeladen, da sich Alt und Jung in ihm vermählen (zunächst mit Masken von runzeligen, alten Gesichtern, dann zurück in der Jugendlichkeit der Tänzer*innen ...). Ein Tanz, angetrieben von der Urkraft des Lebens: In weichen, aber kraftvollen Bewegungen ziehen sie die Kraft aus der Erde, in ihren Körper hinein und mit den Armen wieder hinaus in den Raum. Das ist enorm beeindruckend.

Einen sehr interessanten Beitrag liefert auch das Hamburger Kammerballett von Edvin Revazov in „Floating Spaces“, kreiert für seine ukrainischen Tänzerkolleg*innen zusammen mit drei Gästen aus dem Ballett Hamburg. Die Figur „No Face“ aus dem Animationsfilm „Spirited away“ inspiriert ihn zu der Frage: Was steckt hinter den Masken und von welchen Dämonen sind wir gesteuert? Musikalisch wechselt das Stück zum Teil etwas schroff zwischen Klaviermusik von Bach und Rameau, E-Gitarre und Geräuschkulisse, ebenso wie die Szenen zwischen Soli und Gruppe. 

Allerdings gelingen Revazov einige interessante Duette. Revazov hat ein Gespür für das Erhabene im Tanz, kann Atmosphäre schaffen ... Und wie könnte es auch anders sein, nach seiner jahrelangen Zusammenarbeit mit John Neumeier? Edvin Revazov kann Klassik: Er trifft die ruhige, stilvolle Atmosphäre, die einen Pas de Deux ausmacht und bereichert seine Choreografie geschickt mit zeitgenössischen Elementen. Silvia Azzoni und Alexandre Riabko tanzen mit starker Präsenz und reifen Bewegungen, die ihren Auftritt zum Ereignis werden lassen.

Nordisch-rustikal kommt der Tanz von Jo Strømgren und seiner Company daher. „Made in Oslo“ beeindruckt zwar mit unglaublicher Energie, überdreht aber in „The Ring“ mit einem (Box-) Kampf aller gegen alle und einem nicht mehr zeitgemäßen Konkurrenz- und Balzgehabe zwischen den Geschlechtern. Manche mochten diese zum Teil grotesken Szenen, andere fühlten sich abgestoßen. Überwältigungsduette und Flying Rolls ohne Ende heizen zwar die Atmosphäre auf, aber hier stellt sich vielleicht die Frage, ob das noch künstlerischer Tanz ist oder doch mehr eine rein sportliche Betätigung?

Oldenburger Ballett als Ruhepol

Wie ein kleiner Lichtblick in all dem dargestellten Lebenskampf wirkt der Dreiteiler „Vibe(s)-Lich(t)“ der Oldenburger Ballett Compagnie. Bei „Weiße Schwalbe“ von So-Yeon Kim-von der Beck gibt es klassischen Tanz mit klaren Linien, kontemplativer Musik aus dem Chopin-Project von Alice Sara Ott und Olafur Arnalds. Die Bewegungen sind bis ins Kleinste ausgearbeitet. Ruhe, ja Besinnlichkeit stellt sich ein bei diesem Ballett, das wie im Traum am Zuschauer vorbei schwebt. Wie die weiße Schwalbe „Yeon“ lernt die Tänzerin Amaya Simon zusammen mit ihren beiden Partnern das Fliegen und das Publikum fliegt mit ... Ein wunderbarer Ruhepol inmitten der vielen zeitgenössischen Kampfchoreografien. Wieder im Boxring, aber weitaus feinsinniger als ihr norwegischer Kollege choreografiert Alice Topp fünf Duette in „Soft Knocks“ und erzählt von nicht immer funktionierenden Paarbeziehungen. Den Abschluss des Oldenburger Abends bestreitet dann Lilith Hakobian vom Ballett Hannover mit „Out of Love“, die ihrem ehemals revolutionär aufbegehrenden armenischen Volk eine tänzerische Stimme geben möchte. Ihr Tanz ist rau und aufreibend, da schwingt etwas mit von der schonungslosen Tanzsprache ihres ehemaligen Chefs Marco Goecke. 

TanzKompanie und die Maschine

Einfühlsamkeit und Achtsamkeit ist gefordert, um Szenen mit Tänzer*innen mit und ohne Beeinträchtigungen zu gestalten. Diesen Balanceakt schafft Gregory Darcy mit seiner in Stuttgart ansässigen Gruppe Die TanzKompanie. Neu dabei ist ein fast futuristischer Blick auf eine Inklusion von Mensch und Technik, die Begegnung von Hydraulik und Elektronik mit einem lebendigen Menschen. Langsam bewegt sich die Tänzerin auf den Computer zu, sucht eine Einheit mit der Maschine, die wie ein Urtier mit langem Hals und Kameraaugen jeden Abend anders auf ihre Bewegungen reagiert. Ein sehr wohl spannendes, aber irritierendes Miteinander entsteht, das Gefühle andeutet, die ja erwiesenermaßen gar nicht entstehen können, schaurig!

Tanzmainz zeigte einmal mehr „Promise“ von Sharon Eyal, das während der Coronazeit entstanden ist. Die sieben Tänzer*innen performten dieses Erfolgsstück schon zum 67. Mal! Sie laufen auf den Fußspitzen unermüdlich, tanzen in einem gemeinsamen Puls, der sich im Laufe des Stückes immer mehr auf die Zuschauer überträgt und Erstaunen und Begeisterung auslöst.

Mit weiteren umjubelten Vorstellungen der Lali Ayguadé Dance Company, der Company Malfada, Silvia Gribaudi und Mamela Nyamza mit ihrem „Hatched Ensemble“ und zwei Programmen der Jungen Choreografen der Oldenburger Compagnie – wobei die Handschrift von Ryan Drobner und Elisabeth Cohen vielleicht am meisten überzeugen – geht ein Festival zu Ende auf das sein Direktor Antoine Jully mit Recht zufrieden und glücklich zurück blicken kann. 

 

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