„Repertório N.2“ von Davi Pontes und Wallace Ferreira

Love, Resting, Patience

Viel Zweisamkeit zur Halbzeit vom International Dance Festival in München

Duette von Ewa Dziarnowska, Diego Tortelli und Miria Wurm, sowie das „Repertório N.2“ des brasilianischen Künstlerduos Davi Pontes und Wallace Ferreira spinnen Beziehungsgeflechte und werfen Blicke ins Leere oder ins Publikum.

München, 30/05/2025

Was diese Welt braucht, fragen sich ja gerade viele. Dabei scheint die Antwort so einfach zu sein: „What the world needs now is love, sweet love“, sang die US-amerikanische Sängerin Jackie DeShannon schon 1965. Ein Jahr liefert Dionne Warwick davon eine soulige Interpretation, die 2025 in Ewa Dziarnowskas dreistündigem Duett „This resting, patience“ scheinbar endlos loopt. 

Während das diesjährige DANCE-Festival zum Start mit coolem Jumpstyle und großen, oft politisch aufgeladenen Bildern in die Vollen ging, hat es rund um die Halbzeit einige gleichgeschlechtlich besetzte Zwei-Personen-Stücke platziert und auch aufmerksamkeitsökonomisch den Hebel umgelegt: Der Mittelteil von DANCE schwört das Publikum auf die moderate Langstrecke ein und auf minimale Variationen im Immergleichen. 

Zweiteres gelingt am schönsten und ein wenig außer Konkurrenz einem echten Klassiker: „Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich“, die erste Choreografie von Anne Teresa De Keersmaeker aus dem Jahr 1982, besteht aus einem Solo und drei Duetten und setzt eine Präzisionsmaschinerie in Gang, an deren wohlkalkulierten Mikro-Unwuchten man sich nicht satt-rätseln kann. 

Das Selbstbild der Frauen: „This resting, patience“ von Ewa Dziarnowska

Die Langstrecke dagegen bestreitet „This resting, patience“ fürs erste allein. Der Boden im Schwere Reiter ist komplett mit blauem Teppich ausgelegt. Die Besucher*innen sitzen auf Stühlen am Rand, von denen sich die beiden Performerinnen immer mal welche nehmen, um kleine Gassen oder Kreise zu bilden. Hier kommt man Dziarnowska und ihrer Tanz-Partnerin Leah Marojević näher. Dem einen oder anderen setzen sie sich sogar auf den Schoß oder beginnen so dicht hinter einzelnen Besucher*innen mit einem Bewegungszyklus, als liefere der Duft der fremden Person den Sprit dafür. Jedenfalls im längsten Teil der Aufführung, der von bodennahen Slow Motion-Aktionen dominiert wird. Die dringend benötigte Liebe, um die die beiden anfangs mit zackigen Hüftschwüngen, rudernden Armen, koketten Blicken oder sinnlicher Selbstversunkenheit werben und damit wie nebenbei alle Frauenbilder von den Sechzigern bis heute Revue passieren lassen, ist jetzt der Selbstliebe gewichen. Selbstberührungen auf dem schmalen Grat zwischen Achtsamkeit und Autoerotik komplettieren diverse Roll- und Grätsch-Figuren in verschiedenen Ecken des Raumes. Und gerade, wenn man angesichts des strapaziösen Soundtracks mit Layern aus Hundegebell und Kinderschreien nach dem Notfall-Aspirin in der Handtasche sucht, synchronisieren die zwei ihre Bewegungen oder wechseln ihren Look oder Modus.

Die im Januar in den Berliner Sophiensälen herausgekommene Arbeit hat den DANCE- Kurator Tobias Staab so begeistert, dass er irgendwann hoffte, sie möge noch nicht zu Ende sein. In meiner eigenen Wahrnehmung muss diese Hoffnung lange reifen. Die ersten Besucher*innen geben nach einer Stunde auf. Und man versteht´s. Das Spektakel bleibt aus, aber wer seine diesbezüglichen Erwartungen herunterdimmen kann, den kriegen sie am Ende womöglich doch. Als Dziarnowska und Marojević am Ende der dritten Stunde in zwei Licht-Kreise treten, nimmt man die Wiederholung des Eingangstracks nicht nur hin, sondern wünscht sich sehnlichst, dass es wirklich so einfach wäre: „What the worls needs now is love, sweet love“. Und wenn Liebe - frei nach bell hooks - eine Handlung ist, in der Hass und Gewalt abwesend singen, bleiben wir einfach noch ein bisschen in diesem Raum, in dem der Tanz und ein paar geteilte Blicke nach und nach ein Netz von Fast-Beziehungen ausgelegt haben.

Redundante Myzelien und queeres Selbstbewußtsein

In „TERRANOVA / hidden link“ von Diego Tortelli und Miria Wurm ist das Netz im Raum eine Behauptung, auf der die Darbietung der zwei Tänzer fußt. Mit ihren hautfarbenen Ganzkörpertrikots, geschorenen Köpfen und verwundert voneinander abgewandten Minen sehen Hélias Tur-Dorvault und Fabio Calvisi wie eineiige Zwillinge aus, deren räumliche Orientierung offenbar nicht an ihre Augen gebunden ist. Sie wirken wie Schwimmer in einem fremdartigen Element, das sie nicht auftauchen, aber atmen lässt. Ihre sich fein verästelnden Bewegungen sind den sich permanent verzweigenden Mycelien von Pilzen nachempfunden, ihr „Verhalten“ eher biologisch als sozial zu interpretieren. Doch selbst wenn man das vorher gelesen hat, bewundert man zwar ihre Kunstfertigkeit, aber es wird trotzdem schnell redundant. Auch vor dem im diesjährigen Festival großgeschriebenen Gemeinschaftsgedanken schließt der Abend sich hermetisch ab. Kein Blick dringt durch die imaginäre Wand zwischen Tänzern und Zuschauer*innen. 

Das ist bei Davi Pontes und Wallace Ferreira anders. Das brasilianischen Künstlerduo versteht Tanz als Form der Selbstverteidigung. In „Repertório N.2“ stampfen ihre nackten Körper leicht hintereinander verschoben ein Viereck entlang, als wären sie an den Füßen aneinandergekettet. Entstanden ist der kurze, klare und etwas simple Abend, der zweite Teil einer Trilogie, im rassistischen Brasilien Jair Bolsonaros. Und was hier aufstampft, ist auch das schwarze und queere Selbstbewusstsein, das die beiden mit herausfordernden Blicken in die weißen Gesichter rundum untermauern. In einer der sexy Voguing-Posen, in die sie sich später werfen, wird auch ein Zuschauer in der ersten Reihe angeflirtet, dem das eher peinlich zu sein scheint. Und immer wieder schauen die beiden auch einander an – wie um zu klären, ob es sich weiterzumachen lohnt. Tut es, denn noch ist nicht alles „love, sweet love“. Eher im Gegenteil.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern