Crankos Pianist
Begegnung mit dem Ballettpianisten George Bailey im Mannheimer Tanzhaus
Wenn politische Aktivisten ihre Botschaft in Bühnenkunst verpacken, scheint ihnen moralische Anerkennung manchmal wichtiger als künstlerische – nicht so bei dem vielfach preisgekrönten Choreografen Andrew Skeels. Der gebürtige Amerikaner mit der Wahlheimat Kanada liefert in seiner jüngsten Choreografie „The Burning of Jamestown“ ein fulminantes Beispiel für Nachhilfe in US-Geschichte, die ihm als Steilvorlage für einen choreografisch eindrucksvoll gewebten Kommentar zur politischen Gegenwart diente. Trump kommt nicht vor, und doch ...
Hundert Jahre vor der Unabhängigkeitserklärung (1676/77) gab es in Jamestown einen gemeinsamen Aufstand von armen Weißen und versklavten Schwarzen gegen die weiße Elite. Als Reaktion darauf wurden Gesetze zur Rassentrennung erlassen, die eine solche Verbrüderung bis heute nach juristischen oder zumindest gesellschaftlichen Normen sanktioniert. Genau dieses Miteinander, die starke Macht der Gemeinschaft, wird im neuen zweiteiligen Mannheimer Tanzabend „One Love“ überzeugend beschworen.
Andrew Skeels lässt sein Stück für den Ruinen des ehemals stolzen Supreme Court spielen, ein Symbol für den Niedergang des juristischen Systems. Staatsgründer George Washington tritt mit permanent gezückter Waffe auf – Tänzer Luis Tena Torres schafft es, dieses Symbol gewaltsamer Unterdrückung wie eine organische Verlängerung des Körpers wirken zu lassen. Korrupte Richterinnen und Richter verschanzen sich hinter Roben, Perücken und einem wuchtigen Schreibtisch und zelebrieren Rechtsbeugung. Sie können sich bequem auf ihren Platz außerhalb der rotierenden Drehbühne zurückziehen – ihre Opfer kommen einfach von selbst immer wieder vorbei. Dreizehn Mitglieder des Mannheimer Ausnahme-Ensembles schlüpfen in wechselnde Rollen, aber am Ende bilden sie einfach nur die Gemeinschaft der Unterdrückten, alle in der gleichen fleckigen Arbeitskleidung.
Anfänge eines formierten Widerstands
In einer starken Szene, die gerade durch ihre Schlichtheit bleibenden Eindruck hinterlässt, kreist das Volk George Washington allmählich ein. Ein paar von ihnen kann er noch mit der Waffe in Schach halten, aber irgendwann kippt der Moment, ganz einfach durch die schiere, pure Macht der Gemeinschaft. Gerade die ruhige Stimmung ohne alle Aggression hat etwas Zwingendes an sich: Die gedankliche Brücke in die USA von heute, der Blick auf die Anfänge eines formierten Widerstands gegen die derzeitige Regierung, ergibt sich wie von selbst.
Der Choreograf bezieht sich auf konkrete historische Ereignisse, aber „The Burning of Jamestown“ ist kein Handlungsballett. Hier werden keine Geschichten nacherzählt, sondern Themen vertanzt – in einer Tanzsprache, die es im wahrsten Sinn des Wortes in sich hat. Selten sieht man ein so weit gefächertes, so bedeutungssicher eingesetztes Bewegungsvokabular. Die Originalkomposition von Antoine Seychal tut ein Übriges dafür, passende Assoziationsräume zu entfalten.
Nach diesem inhaltlichen Schwergewicht kommt der zweite Teil des Abends leichtfüßig einher: eine tänzerische Feier der Reggae-Musik. Martin Harriague, Ballettdirektor der Opéra Grand Avignon, entführt mit „The Dreamer“ (zur gleichnamigen Musik von Harrison Stafford und der Band „Groundation“) in ein Traumland nicht über, sondern genau in den Wolken. Die Bühne ist auf drei Seiten raumhoch von Wolken-Formationen in allen Farben umgeben: friedliches Weiß, drohendes Schwarz und dramatisches Rot. Eine lange Bank im Hintergrund dient den acht Tänzer*innen als Sammelplatz, von dem aus sie ihre tänzerischen Ausflüge unternehmen, angefeuert vom simplen und zugleich mitreißenden Reggae-Rhythmus. Hier ist erlaubt, was gefällt und was die Einzelnen können – ein Tanzfest der besonderen Art. Als besonderer Coup bei der Premiere trat Bandleader Harrison Stafford persönlich auf und brachte einen Hauch von Rastafari-Kultur auf die Bühne des Alten Kino Franklin. Die so vorgetragene Botschaft „One Love“ hörte das Publikum sichtlich gern.
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