Die Macht der Gemeinschaft
Double-Bill „One Love“ in Mannheim
In festen Tanzkompanien gehören eigene Choreografien der Ensemblemitglieder längst zum guten Ton. Für den Mannheimer Tanzchef Stephan Thoss ist die Förderung choreografischer Newcomer mehr als bewährte Routine – vielmehr eine Herzensangelegenheit. In dieser Spielzeit hatten die Mannheimer Tänzer*innen gleich zweimal die Gelegenheit, ihrer Bewegungsfantasie auf der Tanzbühne freien Lauf zu lassen: im aktuellen Tanzabend „Choreografische Werkstatt“ und zuvor beim vorweihnachtlichen Programm „Engelsgrüße“. Mit seinem Beitrag zu diesem Tanzabend hat es der Mannheimer Tänzer Albert Galindo sogar ins Finale des Internationalen Wettbewerbs für Choreografie in Hannover geschafft und den Produktionspreis des Theaters Lüneburg gewonnen. So können Karrieren starten ...
Für die „Choreografische Werkstatt“ steuerte Albert Galindo eine ambitionierte abstrakte Arbeit bei. „The Blind Ride“ ist ein fortlaufender Bewegungs-Diskurs zwischen Mann und Frau, Tisch, Hocker und Notenständer, in minimalistischer schwarz-weißer Ausstattung und getragen von einem rätselhaften, intensiven Bewegungsvokabular. Es fällt regelrecht auf an diesem Theaterabend, dass er nicht die übliche No-Budget-Ausstrahlung hat. Hier gibt es Bühnenbilder und Kostüme, sogar einige Originalkompositionen, ambitionierte Lichtregie und ein kleines bisschen Bühnentechnik.
Das Eingangsstück „Hek Fan Mek Ah?“ („Hast du schon Reis gegessen?“) atmet Witz und Gespür für Bühnenwirksamkeit – und entfaltet ein bisschen Musicalstimmung. Choreografin Jessica Liu verwandelt die traditionelle toisanische Begrüßungsformel (in der Sprache ihrer Vorfahren) in ein spritziges Loblied auf die Verbindung von Heimat, Esskultur und Gastfreundschaft.
Die Sache mit der Erinnerung
Ebenfalls aus dem üblichen Rahmen fällt die Arbeit von Ballettmeisterin Zoulfia Choniiazova „Walk the Line“. Sie ließ Tanzdramaturgin Susanne Wiedmann – im 50er-Jahre-Tupfenkleid mit schwingendem Rock – in Sprech-Rolle(n) für die Frauen im Leben von Johnny Cash schlüpfen. Shaun Patrick Ferren setzte derweilen die innere Zerrissenheit des legendären Country-Sängers wirkungsvoll in Szene.
Die Sache mit der Erinnerung beschäftigte Arianna Di Francesco in „Don’t mind me“. Musikalische Auslöser beschworen die kaum zu kontrollierenden Erinnerungen an drei verschiedene Männer in ihrem Leben herauf. Louis Tenna Torres behielt seine Erinnerungen und die daraus resultierenden Wünsche und Hoffnungen lieber für sich („I kept it for myself“), während Anna Zardi die Lebenserinnerungen in ihrem Spiegelbild suchte („Ca Mira“).
Wie unterschiedlich sich die Erinnerung an ein- und dasselbe Ereignis ins Gedächtnis einschreiben kann, spielten Natsuho Matsumoto und Nicola Prato im gemeinsam choreografierten und getanzten Stück „Memory of a Fall“ durch. Mehr zum Tanzthema Nummer Eins – Boy meets Girl oder umgekehrt – trugen Paloma Galiana Moscardó und Leonardo Cheng in ihrer gemeinsamen Choreografie „The Hollow Space“ bei. Ein Sessel mit überproportionaler Rückwand bot die Gelegenheit für raffinierte, artistisch umgesetzte Bilder. Als kleiner Glücksfall erwies sich das gemeinsam choreografierte und getanzte Stück „A Fan of Yours“ von Dora Stepušin und Joseph Caldo. Kleidung als Metapher für sozialen Kontext und zugleich als Ausdruck für Emotionen, Witz und eine mutige, kontrastreiche Bewegungssprache eröffneten den ganzen großen Assoziationsraum für Paar-Geschichten.
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