„Ich hab dich gern ohne Worte“
Bühnen- und Kostümdesigner Peter Pabst widmet sich in seinen neuen Installationen „Vorsichtshalber vorsichtig“ im Skulpturenpark Waldfrieden dem Nachlass Pina Bauschs
Dunkel und völlig kahl ist die Bühne. Später wird im Hintergrund das Wuppertaler Symphonieorchester sichtbar. Dann beleuchtet ein Mann auf einer Leiter immerzu mit dem Scheinwerfer eine Tänzerin. Musik setzt ein. Nun stimmt Sängerin Ute Lemper die folgende Geschichte an: „Wir sind eigentlich nicht zwei Personen / sondern nur eine einzige.“
Sie ist die coole, planende, strenge Anna1, ihre tanzende Schwester die verrückte, verspielte, lebenslustige Anna2: Die beiden sind „aufgebrochen nach den großen Städten Amerikas“, um Geld zu verdienen für ein Haus in Louisiana. Jeder besuchte Ort steht für eine der sieben Todsünden. Unaufhörlich fordert die Schwester von Anna2, nicht den Lastern zu verfallen, sondern sich brav zu prostituieren. „Denk an das Haus in Louisiana!“ Während der durchgehenden Handlungsgesänge werden vom Wuppertaler Tanztheater Szenen angespielt, umgedeutet oder paraphrasiert:
Anna2 wird als Hure ausstaffiert. Ein Frauenensemble bietet sich lasziv an. Sie mischt sich darunter. In der Episode „Wollust“ in Los Angeles verliebt sie sich in einen Kunden. Schwarzgekleidet formieren sich viele Tänzerinnen zu grotesk maschinenartigen Revueauftritten. Männer stampfen diagonal über die Bühne, grabschen sich nacheinander Anna2. Die wird auch vermessen und gewogen. Unaufhörlich wird sie gequält und geschunden, obwohl sie sich gelegentlich tapfer wehrt. Sehr beklemmend ist sie für das Publikum Opfer der Verhältnisse. Stärker als in der Brecht’schen Vorlage wird weniger der gesellschaftliche Hintergrund betont, sondern Annas Ausbeutung und Zerrissenheit als Ware Frau.
Puppenkarussell aus Frauen
1933 schrieb der bereits aus Deutschland geflüchtete Bertolt Brecht das Libretto für Kurt Weills satirisches „Ballett mit Gesang“, das damals von George Balanchine in Paris choreografiert wurde. Pina Bausch inszenierte „Die sieben Todsünden“ 1976, drei Jahre nach Beginn ihres Engagements in Wuppertal, als erste theatralisch-tänzerische Collage.
Während der erste Teil des Abends noch recht lehrmeisterhaft „Brechtisch“ wirkt, folgt die große Überraschung: „Fürchtet euch nicht“, (so der Titel), fordert Pina im von ihr selbst entwickelten zweiten Teil. „Way to the next Whisky Bar“, „Ja, mach nur einen Plan“ und weitere bekannte Brecht-Songs werden mal instrumental gespielt, mal kräftig von Ute Lemper, Melissa Madden Gray oder Erika Skrotzki geschmettert. Das Ensemble präsentiert dazu zwei Dutzend assoziative Szenen und Revuetanzbilder: Lemper schleift Schuhe hinter sich her. Bei „Liebe ist doch an Zeit nicht gebunden“ schlägt Gray mit einer Peitsche hemmungslos auf den Boden.
Zwei Weiberpaare in scharfer Unterwäsche liegen auf Pelzmänteln und kreischen sich wütend an: „Zeig mir deine schönen Beine!“ Mehrfach toben alle mit schrillbunten Kostümen verkleideten Tänzerinnen über die Bühne – auch die Männer als Transtänzerinnen! Die grauhaarige Sängerin Skrotzki formt ein Puppenkarussell aus Frauen, später tanzen diese Figuren zusammen mit den männlichen Glamourgirls.
Jedoch die abstrusen oder komischen Revuebeiträge erhalten durch einen älteren Casanova eine peinigende Unterströmung. „Fürchte dich nicht“ singend, bedrängt, verfolgt und vergewaltigt er schließlich im Hintergrund eine Tänzerin, die für Anna2 aus dem ersten Teil steht.
Bereits mehrfach wurden die Todsünden in Wuppertal detailliert mit älteren Akteuren wiedereinstudiert, oft sogar von Pina Bausch selbst. Denn Männer können bekanntlich auch im Alter lüstern oder übergriffig sein, ältere Frauen bewegend oder anstößig. Diese Perspektive wurde von der Tanzkritik häufig moniert, doch sie hat ihren Sinn: Dadurch lösen sich illusionistische Momente im Brechtschen Sinne auf. Pina Bausch gelang gut die Gradwanderung von Empathie und Distanz durch Verfremdungseffekte. Ebenfalls die Weiber im schwarzen Anzug, die manchmal mit den aggressiven Männern tanzen, verweisen darauf, dass es ihr nicht (nur) um feministische Kritik ging. Vielmehr zeigte sie, dass alle Menschen den Zwängen des Systems ausgesetzt sind und an einem menschenwürdigen Leben gehindert werden.
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