„Ich hab dich gern ohne Worte“
Bühnen- und Kostümdesigner Peter Pabst widmet sich in seinen neuen Installationen „Vorsichtshalber vorsichtig“ im Skulpturenpark Waldfrieden dem Nachlass Pina Bauschs
Man sieht ja bekanntlich erst mal so gut wie nichts. Das Licht lässt sich sehr lange Zeit, und es dauert, bis mehr als die Drehtür im Hintergrund und die berühmten braunen Holzstühle mit der halbrunden Lehne auszumachen sind. Und in diesem Zwielicht wird es mit dem Auftritt der ersten Tänzerin eben schlagartig unwirklich in Pina Bauschs seelendunklem Klassiker „Café Müller“.
Und dann sind sie da, gleich mit der ersten Bewegung, die offenen, leicht nach vorn gestreckten Hände, die Handfläche nach vorn gedreht, als zeigten Stigmatisierte ihre Wunden. Da weiß man sofort, wo man ist. Unmissverständlich. Als hätte Pina Bausch diese Geste erfunden. Erfunden hat sie bekanntlich viel, den Begriff des Tanztheaters weltweit verändert.
Und heute? Man blickt in keine angestaubte Mottenkiste, wenn in Wuppertal die Stühle wieder über die Bühne fliegen, um der Somnambulen den Weg frei zu räumen. Der irreale Traum, der funktioniert natürlich noch immer tadellos. Dass Pina Bauschs Werke nicht altern, ist hinreichend bekannt. Genau deshalb lohnen sich ihre Stücke immer wieder. Das ist kein Blick zurück in die Geschichte des Tanzes.
Besonders „Café Müller“ ist ein eingefrorener Moment, eher ein Irrlicht der Fantasie als der Bewegung. Wer weiß, was die Körperlichkeiten von Peeping Tom sich davon abgeschaut haben. Pina Bauschs Hände, sie suchen noch immer nach einem Halt zwischen diesen grauen Wänden mit den so hohen Türen. Diese verlorenen Seelen am oder besser im Unort, der dieses „Café Müller“ ist, diese verlorenen Seelen finden auf ihrer Suche nach Halt nur ein seltsames Echo, das die Dinge wiederholt, immer wieder. In diesem befremdlichen Traum gibt es keinen Halt.
Fehlgesteuerte Figuren
Die aktuelle Besetzung versucht zum Glück keine Kopie. Die Tänzer*innen laufen nicht Gefahr irgendeiner Imitation des Vorherigen. Sie machen sich die Choreografie zu eigen, ohne zu viel zu wollen. Es sind ja Figuren, die durch diesen Nachtmahr taumeln, keine Charaktere. Identität ist hier nicht möglich. Deshalb bewegen sich die Interpretationen genau innerhalb der stellenweise immer mal wieder leicht schematischen Wiederholungen. Fehlgesteuert wirken diese Figuren, und die Tänzer*innen bleiben deshalb auch innerhalb der A-Logik dieses hermetischen Raums. Es ist eben so sinnbildlich, wenn sich eine Tänzerin beim scheinbaren Versuch, diesen Ort zu verlassen, in der Drehtür verfängt und schließlich wieder im Raum landet.
Es ist bemerkenswert, wie das Ensemble die Mitte zwischen der federleichten Atmosphäre Purcells Komposition und der emotionalen Wucht des Verstörenden ausbalanciert.
Das Premierenpublikum brauchte offenbar eine Weile, um aus diesem Traum zurückzukehren. Es schien, als würde der Applaus erst nach einer gewissen Verzögerung so richtig loslegen. Wörtlich von den Stühlen gerissen hat es die Zuschauer*innen aber erst ganz am Schluss, nachdem die 30 Tänzer*innen sich im „Frühlingsopfer“ die dunkle Erde auf der Bühne und Strawinsky dem Publikum die Klänge um die Ohren gehauen hat.
Die Intensität, die das Ensemble hier vor allem in den geschlossenen Gruppenszenen schafft, ist schlichtweg beeindruckend. Das hat, trotz der ausufernden Emotionalität, fast schon formalistische Strenge, wie alle in einem gemeinsamen Atemzug beben. Tsai-Chin Yu als das Opfer im berühmten roten Kleid wächst geradezu über sich hinaus, selbstvergessen, die Selbstaufgabe scheinbar umarmend. Es war nicht zu übersehen, wie sie hustend in der Mitte ihrer Kolleg*innen die Begeisterung des Publikums im ersten Moment gar nicht annehmen konnte. Und man fragt sich: Was wäre dieses Stück ohne die lose Erde auf dem Boden, die den (inneren) Kampf erst so richtig sichtbar macht? Unvorstellbar.
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